Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
während er über das Bruchholz des Waldes läuft, sondern auch den, dass die Hunde trotz ihres gesunden Jagdtriebes auf mein Tempo achten müssen.
Im Vorbeigehen nehme ich das Gehäuse der Flexileine vom Baum und lasse den Feststeller für einen kurzen Moment los, sodass ein Rascheln im Unterholz zu hören ist, weil sich das Hasenfell bewegt hat. Mit »Los« gebe ich die Hunde frei und lasse den Feststeller der Flexileine gänzlich ausrasten. Das Hasenfell schießt unter dem Blattwerk hervor und Mitja versucht, es vor Frieda zu fangen, die zeitgleich darauf zuspringt. Dieses kleine Spiel »Wer fängt den Hasen« bauen wir jetzt täglich in einen unserer Spaziergänge ein.
Mitja ist inzwischen ein halbes Jahr alt und fast so groß wie Frieda. Mitte April können wir endlich einen wunderbaren Helfer in Anspruch nehmen, den die Kälte uns bisher verwehrte: den Mühlenbecker See. Ich hoffe, dass Mitja eine Wasserratte ist, denn Frieda und Tinka stehen Wasser zwar positiv gegenüber, aber nur, solange es ihnen nicht weiter als bis an die Knöchel reicht.
»Eine tolle Idee, schwimmen schont die Gelenke und baut seine Muskeln auf«, bestärkt mich unsere Tierärztin.
Der Waldsee empfängt uns einsam und von der Sonne beschienen. Er besitzt nur wenige kleine Badezugänge, die wegen der niedrigen Wassertemperatur noch menschenleer sind. Mitja sieht zum ersten Mal einen See und blickt staunend auf die riesige Pfütze. Ich werfe sein Lieblingsspielzeug, einen kleinen Gummiknochen, auf die Wasseroberfläche, und Mitja geht sofort hinterher. Ein verwunderter Blick nach unten zeigt, dass er erstaunt darüber ist, wie tief die Pfütze ist. Er schnappt sich sein Spielzeug und bringt es zurück an das Ufer. Ich werfe es ein wenig weiter. Mitja geht wieder hinterher, verliert es jedoch aus den Augen als er im Wasser ist und sieht sich suchend um. Ich zeige mehrfach auf das bereits abtreibende Spielzeug. Mitja findet es nicht. So nehme ich einen kleinen Stock und werfe ihn neben das Spielzeug, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Er nimmt das Aufklatschen wahr und schwimmt in die richtige Richtung los. Anfangs sind seine Schwimmbewegungen noch etwas unbeholfen, und er muss seinen absinkenden Hintern ausbalancieren. Doch nach einigen Versuchen schwimmt er gekonnt und schnurgerade auf das Spielzeug zu. Dort angekommen entscheidet er sich für den Stock, der daneben treibt. Alle weiteren Versuche, ihn mit einem neuen Stock auf das Spielzeug aufmerksam zu machen, enden darin, dass er auch diesen ans Ufer bringt und sich gegen das Spielzeug entscheidet. Er hat sich in Stöcke verliebt und entwickelt schnell eine immer größere Begeisterung für das neue Wasserspiel. In das Wasser hineinzulaufen ist ja für den Anfang ganz schön, aber mit Anlauf hineinzuspringen und einen Bauchklatscher zu machen ist offenbar fantastisch. Ich bin sowohl von dieser hinzukommenden Variante seines Eintauchens als auch von seinem Ganzkörper-Schütteln bei der Rückkehr nach kurzer Zeit selbst sehr nass.
Mit viel Hoffnung fahre ich an diesem Tag zurück nach Hause. Vielleicht schaffte Mitja ja schwimmend den Durchbruch zum Muskelaufbau. Das könnte viele schmerzfreie Lebensjahre mehr für ihn bedeuten.
In den nächsten Tagen verbringen wir viel Zeit am See, und Mitja entwickelt eine große Leidenschaft für die schwimmende Beute. Alles klappt reibungslos. Er schaut zuerst mich an, bevor ich werfe, dann gebe ich Mitja frei, und er holt den Stock, um ihn mir zu bringen. Alles läuft gut, bis ich irgendwann eine Veränderung in seinem Verhalten bemerke.
Er starrt jetzt nur noch den Stock an, den ich halte, und hat keinen Augenkontakt mehr zu mir. In seinen Blick hat sich ein aufgeregtes, flehentliches Flackern gemischt. Eine Alarmglocke in mir schrillt. Ich kenne diesen Ausdruck von Hunden, die süchtig sind.
Ich warte wieder, bis er vom Stock weg mich ansieht, bevor ich ihn werfe. Dennoch werden seine Bewegungen »abgerissener« und ungeduldiger. Er fixiert nun den Stock mit starrem Blick und halb geöffnetem Maul. Ich beende das Spiel.
Fünf Minuten später lässt ein leises Platschen auf der Oberfläche des Sees Mitjas Kopf ruckartig herumschnellen. Etwa dreihundert Meter entfernt rennt ein Jagdhund ins Wasser, um einem Gegenstand zu folgen, der für ihn geworfen wurde. Mitja springt wie elektrisiert von unserer Seite aus in den See und schwimmt dem Hund entgegen. Mein Rufen verhallt zum ersten Mal ungehört.
Der Jagdhund erreicht den Gegenstand,
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