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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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erkundige ich mich.
    »Na, ich bin abgefahren. Sofort! Hab ihn angezeigt. Ohne Erfolg! Ist im Sand verlaufen. Danach habe ich mir gedacht, wenn sich Hundetrainer so etwas erlauben dürfen, dann lasse ich nie wieder einen an meinen Hund.« Er schweigt und blickt mich an, als ob er nun von mir eine Stellungnahme dazu wünscht.
    »Das kann ich gut verstehen. Was hatte dieser Vorfall denn für Auswirkungen auf Berthold?«, will ich wissen.
    »Er lässt sich seitdem kein Geschirr mehr umlegen. Ist nie wieder möglich gewesen. Er hat sich dann immer auf den Boden geworfen und ist keinen Schritt mehr gegangen. Also hat er ein Halsband getragen und durfte ohne Leine laufen. Da kann er ja auch nicht ziehen.« Der Mann lacht. »Und nach all den Jahren, er ist jetzt zehn, sind wir sowieso ein Dreamteam.«
    Er blickt verliebt auf Berthold, der auf dem Rücken schlafend das Sofa anwärmt. Die Lefzen des Hundes sind der Schwerkraft gefolgt und zur Seite geklappt, was seinem Maul einen grinsenden Ausdruck verleiht.
    »Gut, dann kommen wir zum Springinsfeld«, zitiere ich lachend seine Bezeichnung für den jungen Hund. »Ich arbeite zwar ohne jegliche Art von Gewaltanwendung, Grenzen setze ich aber dennoch. Einfach, weil sie der Natur des Hundes entsprechen und deshalb in der Erziehung und im Zusammenleben mit ihm unverzichtbar sind.«
    Der Mann greift sich in seine vollen, blondgelockten Haare, streicht sie zurück und massiert dabei die Kopfhaut. »Also, egal welcher Art die Grenzen sind: Ich will sie für meine Hunde nicht haben. Ich will nur freundliche Erziehung. Ich bin Künstler und mag es gern kreativ, freiheitlich und nicht diktatorisch. Mit dieser Erwartung habe ich Sie angerufen.« Er blickt mich prüfend an.
    »Müssen Sie sich nicht an die Regeln einer Partitur halten, wenn Sie in einer Oper singen?«, frage ich gespielt erstaunt.
    Der Mann braucht einen Moment, um mir zu folgen.
    »Äh, ja natürlich. Aber das ist doch nicht vergleichbar, oder?«, fragt er, nun doch etwas unsicher geworden.
    »Ich finde den Vergleich sogar ganz passend«, erwidere ich lachend. »Würde in einem Orchester jeder Musiker nur kreativ und freiheitlich spielen, gäbe es ein riesiges Durcheinander. Deshalb ist ein Dirigent nötig, der die Kreativität der Einzelnen zu einem harmonischen Ganzen zusammenführt. Wenn Sie mir erlauben, meinen Eindruck zu schildern: Sie und Ihre Hunde wirken auf mich wie wunderbare und einzigartige Solisten, aber es ist kein Dirigent vorhanden. Maxwell spürt das und versucht, diese notwendige Rolle einzunehmen. Natürlich muss er daran scheitern. Nicht nur, weil er zu jung und unerfahren ist, sondern auch, weil er mit Ihnen in einer menschlichen Welt lebt, die Sie besser einschätzen können als er. Bisher äußert sich Maxwells Überforderung durch Überdrehtheit und ein jugendlich-dominantes Verhalten. Das ist jedoch häufig der Einstieg in Aggressionen und Verhaltensstörungen. DieGrenzsetzungen, von denen ich spreche, sollen durchaus freundlich und angemessen sein, aber eben auch bestimmt. Ein Leitwesen, wie ein Leithund oder ein Dirigent, muss diese Entschlusskraft ja unbedingt ausstrahlen, damit andere Vertrauen in seine Entscheidungen haben können. Es wird meinerMeinung nach höchste Zeit, dass Sie hier zu Hause von Ihrer Rolle des Sängers in die des Dirigenten wechseln.«
    Der Mann greift sich wieder in die Haare. »Wenn man es so betrachtet … Was für ein beruflicher Aufstieg.« Seine stattliche Bauchmasse bebt unter einem grünen Kaschmirpullover, während er lacht.
    In das Lachen mischt sich von fern ein metallisches Kratzen. Während mein Blick umherstreift, um die Ursache des Geräusches ausfindig zu machen, sehe ich, dass das Sofa leer ist.
    Nur Maxwells Schnauze lugt seitlich dahinter hervor, sie liegt auf dem zerfledderten Spielzeug. Ich vermute, dass der junge Hund schläft. Berthold ist verschwunden.
    »Ach«, der Mann schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich habe Berthold vergessen. Nach seinem Vormittagsschlaf pflegt er ein ganz bestimmtes Ritual.« Er streckt bedeutsam den Zeigefinger in die Luft. Dann stützt er sich am Tisch ab und erhebt sich. Mit einem Winken bedeutet er mir, dass ich ihm folgen soll.
    Er führt mich zu einer geräumigen Küche, deren gesamte linke Wandseite von einem riesigen alten Apothekenregal eingenommen wird. In der Mitte des Raumes bietet ein massiver Holztisch Platz für mindestens zwölf Personen. Der moderne hohe Kühlschrank sticht nicht nur

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