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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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zurückweicht.«
    Farina geht tatsächlich ruhig und souverän auf den Hund zu. Der hebt überrascht die Lefzen und weicht plötzlich schüchtern zurück, als Farina sich unbeeindruckt zeigt. Sie ist ebenfalls überrascht von seinem schnellen Rückzug und blickt mich fragend an.
    »Du kannst nun auch zurückgehen. Du musst die Dose nicht verteidigen. Dazu bist du viel zu cool«, sage ich lachend.
    Farina geht zurück und blickt ungläubig auf den Hund, der brav dasteht und an ihrem Blick hängt.
    »Du kannst ihn auffordern, zu dir zu kommen. Falls er an die Dose will, musst du ihn warnen und notfalls handeln«, sage ich.
    »Jack, hierher«, ruft Farina und bückt sich seitlich. Ich bin erstaunt, wie viel sie bereits von Hunden verstanden hat, denn ihre Körperhaltung ist gut auf das Zögern des Hundes abgestimmt, der zwar ein Krieger, aber eben auch sehr unsicher ist. Der Hund geht zögernd in ihre Richtung. Als er sich der Dose nähert und sein Blick in die Richtung des Putenschatzes wandert, warnt Farina punktgenau mit einem »Scht«. Der Hund registriert dieses gute Timing und schlägt einen Respektbogen, während er an der Dose vorbeigeht. Er läuft zu Farina und blickt sie erwartungsvoll an. Sie bückt sich und lobt ihn voll Freude.
    »Darf ich ihm den Maulkorb abmachen?« Sie wirkt sehr sicher, als sie das fragt, und Jack sehr vertrauensvoll, deshalb hocke ich mich neben sie und erlaube es ihr. Jack schüttelt sich, als das Schnauzengefängnis ab ist, und leckt der noch hockenden Farina anerkennend über das Kinn. Dann wartet er brav auf weitere Anweisungen.
    Die Augen der jungen Frau glänzen, und es ist ihr deutlich anzumerken, dass eine Veränderung in ihr stattgefunden hat. Dieses Gefühl von Kompetenz, mit dem sie dem angstaggressiven Jack helfen konnte, Vertrauen zu fassen, ist noch in ihr, als sie drei Stunden später mit ihrem eigenen Hund die lang gefürchtete Angstübung macht.
    Farina atmet tief durch, lässt Lords Leine fallen und bedeutet ihm mit einem sanften »Sss« und einer leichten Neigung nach vorn, dass er bleiben soll. Lord sinkt sofort überrascht in eine sitzende Haltung.
    Farina zögert jetzt, weil sie nun zurücktreten müsste, was Lord sofort als Unsicherheit interpretiert und maßregelnd an ihr hochsteigt, weil er sich ihre Regeln verbittet, solange sie unsicher ist.
    »Denk daran, wie du dich selbst gefühlt hast, als Silvia heute unsicher war und dir Regeln aufstellen wollte. Die Energie, die du hattest, um dich dagegen zu verwahren, brauchst du jetzt«, rufe ich ihr zu.
    »Ab!«, sagt Farina plötzlich und geht sehr bestimmt, aber nicht aggressiv auf Lord zu. Er schnappt noch einmal zur Probe in ihren Blusenärmel. Farina quittiert dies mit einem schnellen Stüber zweier Finger in seine Breitseite. Lord legt sich augenblicklich hin. Das passiert so überraschend, dass alle Frauen die Luft anhalten.
    »Nun kannst du spazieren gehen«, sage ich und weise auf den Hof. Farinas Augen weiten sich noch einmal vor Schreck über die Vorstellung, sich von Lord zu entfernen. Dass sie es dennoch tut, ist ein Liebesbeweis für ihren Hund – und für sich selbst. Man sieht ihr an, welche Überwindung es sie kostet, sich nicht umzudrehen. In einem Umkreis von zehn Metern beginnt sie umherzugehen, und mit jedem Schritt scheint sich etwas in ihr zu lösen. Ihre Bewegungen werden leichter, sie beginnt zu atmen, während sie vorher die Luft anzuhalten schien. Jede der Frauen blickt berührt auf das zarte Mädchen, das nun so kraftvoll wirkt.
    »Du kannst jetzt zurückkommen und darfst deinen Hund anschauen«, rufe ich. Farina dreht sich um und blickt auf Lord, der sie nicht sehen kann, weil er auf der Seite liegt und schläft.

Solisten unter sich
    An einem trüben Vormittag fahre ich über das bunte Herbstlaub einer kleinen Berliner Straße. Das Training mit einem jungen Hund, der am Telefon von einer männlichen Bassstimme als »Springinsfeld« beschrieben wurde, wartet auf mich. An einem stuckverzierten, hübschen Mietshaus drücke ich eine Klingel. »Da sind Sie!«, ertönt der Bass in der Gegensprechanlage, und die Tür öffnet sich summend. In einem gläsernen Außenfahrstuhl schwebe ich in den fünften Stock.
    Die Stahltür des Fahrstuhls öffnet sich ruckartig und gibt nach und nach die voluminöse Statur eines Riesen frei, der wie eine Wand den Ausgang versperrt. »Herzlich willkommen«, donnert der Bass, ergreift mit beiden Händen meine rechte Hand und zieht mich auf einen Treppenabsatz,

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