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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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durch seine rote Farbe hervor, sondern auch durch Verzierungen, die keinem Stil in dieser Wohnung entsprechen. Es sind unzählige Kratzer darauf zu sehen, die bereits eine große, aufgescheuerte Fläche bilden. Es ist nicht schwierig, den Verursacher auszumachen. Er steht direkt davor.
    Jetzt blickt Berthold auf den hinzugekommenen Mann und zurück zum Kühlschrank. Mehrfach wandert sein Blick hin und her, als müsse er einem begriffsstutzigen Menschen zu einer Lösung verhelfen. Der Opernsänger sieht mich an und hebt bedeutungsvoll die Brauen. Dann öffnet er den Kühlschrank und holt einen Becher hervor, den er in meine Richtung hält. »Crème fraîche«, raunt er bedeutungsschwanger. Etwas irritiert wundere ich mich darüber, dass der Mann diese Vorliebe für Sahne bei einem Hund für etwas Besonderes hält und bereite mich darauf vor, einem Becherausschlecken beizuwohnen, das ich toll finden soll. Zu meinem Erstaunen füllt der Mann mehr als zwei Drittel des Bechers mit einem Löffel in eine Tasse und stellt diese wieder in den Kühlschrank.
    »Kommt an mein Abendbrot«, erklärt er, als er meinen ratlosen Blick bemerkt. Jetzt bin ich vollends durcheinander, denn die winzige, im Becher verbliebene Menge ist angesichts des riesigen Hundes ein Witz. Berthold jedoch schnappt sich zufrieden den ihm dargebotenen Becher mit dem spärlichen Rest und verschwindet damit in Richtung Wohnzimmer.
    »Nun geht’s los«, kommentiert der Mann das Geschehen, und wir folgen dem Hund. Berthold thront bereits wieder auf dem Sofa und hat den Becher Crème fraîche neben sich abgelegt. Als Maxwell seine Schnauze ebenfalls auf die Sofakante schiebt und mit sehnsüchtigem Schmachten Interesse am Becher bekundet, verwarnt ihn Berthold mit einem starren Blick. Maxwell weicht zurück und legt sich in respektvollem Abstand auf den Boden.
    »Sehen Sie, so kann ein souveränes Abbruchsignal bei Hunden aussehen«, sage ich und zeige auf die Szene.
    »Maxwell hält jetzt respektvollen Abstand, weil Berthold ›Stopp‹ gesagt hat.«
    »Aber er sagt doch gar nichts«, entgegnet der Mann mit skeptischer Verwunderung.
    »Sein Blick sagte alles«, erwidere ich und betone das letzte Wort. »Wenn ein Dirigent einen Musiker strafend anblickt, weil dieser durch seine Unaufmerksamkeit schon mehrfach den Einsatz verpasste, reicht das auch als Verwarnung und als Hinweis auf eine eventuell folgende Konsequenz aus. Maxwell hat die Entschiedenheit des Blickes verstanden und weiß, dass Berthold es ernst meint und es keinen Zweck hat weiterzubetteln.«
    »Nun ja, er hat den Becher noch nie bekommen«, sagt der Mann zustimmend, aber zerstreut. Seine Gedanken scheinen bei etwas anderem zu sein.
    Mit »Die Hauptsache kommt doch erst noch« verrät er mir den eigentlichen Focus seiner Aufmerksamkeit und zeigt mit einem nachdrücklich wippenden Zeigefinger auf Berthold.
    Ich blicke auf den kräftigen Hundeopa, der jetzt die dicke Nase in das kleine Plastikbehältnis gesteckt hat, und erwarte, dass seine Zunge nun den Becher leert. Doch Berthold holt nur lange und geräuschvoll schnaufend Luft, und ich wundere mich darüber, dass er sich mit einem Becher die Nase abgedeckt hat, sodass er nun kaum noch Luft bekommt. Die ganze Situation erscheint mir immer seltsamer. Plötzlich rollt Berthold auf die Seite und dann auf den Rücken. Die Hinterbeine klappen weit auseinander, die Vorderpfoten umschließen fest den Becher vor seiner Nase. Er sieht aus wie ein riesiges Baby.
    »Nnnnnchrrrrrr, nnnchhhhhhr«, ertönt es gedämpft durch die dünne Plastikwand des Bechers. »Rochrrrrrr, rooochrrrrrrrr«, steigert sich sein Atmen. Er hat die Augen selig geschlossen, und erst in diesem Moment verstehe ich, dass dieser Hund die Crème fraîche nicht fressen will, sondern schnüffeln. So wie es Menschen gibt, die sich zum Beispiel den Geruch von Klebstoff »reinziehen«, inhaliert Berthold den Geruch von Crème fraîche.
    »Okay, jetzt verstehe ich. Das ist ja ein Ding.«
    Ich muss den Anblick erst verarbeiten.
    »Und wie lange braucht er jetzt dafür?«
    Der Mann blickt prüfend auf den Hund. »Ich denke, weil er heute besonders gemütlich drauf ist, eine halbe Stunde oder so.«
    »Und er macht das jeden Tag?« erkundige ich mich noch immer erstaunt.
    »Jeden Tag ungefähr um diese Zeit. Er hat das irgendwann einmal begonnen, als ich ihm einen Rest zum Auslecken gegeben habe. Ich hielt das für eine Supernummer und gab ihm immer mal wieder einen Becher. Bis er plötzlich

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