Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
der für uns beide zusammen bedenklich klein ist.
Vor seiner Wohnungstür angekommen deutet er auf einen kniehohen Junghund, einen schwarzen Labrador-Podenco-Mix. »Hier, das ist der Springinsfeld.« Der Springinsfeld dreht sich bei dem Versuch, zugleich mich und seine Schwanzspitze zu überfallen, quirlig um die eigene Achse. Immer wieder bricht er unvermittelt aus seinem Ringelreihen mit dem Schwanz aus, um flummiartig an mir hochzuspringen.
»Darf ich schon mal beginnen?«, frage ich, noch bevor ich die Wohnung betreten habe, und zeige auf den Hund, der jetzt in meine Hände schnappt und überdrehte Kläffer von sich gibt.
»Ich bitte doch sehr darum«, donnert der Bass und macht eine einladende Geste.
»Schttt!« Ich lasse das »T« mit einem Zungenschnalzer knallen. Der Hund starrt mich einen kurzen Moment lang verdutzt an, nimmt Anlauf und zeigt mir, dass er noch viel höher springen kann, wenn er will. Er macht seinem Kosenamen alle Ehre.
Ich will auf ihn zugehen und einen Zwei-Finger-Stüber als Konsequenz vor seinen Brustkorb setzen, aber er weicht geschickt aus. Aus zwei Meter Distanz werde ich von ihm mit schwarzen Knopfaugen taxiert und dann probeweise, mit einem Sprung nach vorn, in die Hose geschnappt. Ich fasse ihn am Schlafittchen, wie der Sachse sagt, also in der Nackenhaut, halte ihn ganz ruhig fest und hänge ihn aus. Seine Hinterpfoten lasse ich dabei auf dem Boden, weil er für diesen »Muttergriff« bereits etwas zu schwer geworden ist. Es ist eigenartig, mit anzusehen, wie ein Hund durch das Absinken in seine eigene Haut bei sich selbst anzukommen scheint und sich plötzlich entspannt. Die Erinnerung an seine hündisch-mütterliche Erziehung lebt in jedem Hund weiter, auch wenn er nun mit Menschen zusammen ist. Ich lasse los, und der junge Hund fällt auf die Vorderpfoten zurück. Er schüttelt sich kurz und läuft in lockerem Gang den Flur entlang von mir weg. Ich hocke mich auf den Boden, um meine Füßlinge über die Schuhe zu ziehen. Aus dieser Perspektive und Höhe wirkt der Bullmastiff, der gerade um die Ecke kommt, besonders beeindruckend. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir sein Kopf zweimal so breit wie mein eigener erscheint. Zumal sich dieser nun genau vor dem meinen befindet. Um die Schnauze des Bullmastiffs herum hat sich in das Braun seines Felles schon großflächig Weiß gemischt. Seine freundlichen Augen blicken ein wenig trüb in die meinen. In einem Tempo, das ich nicht von ihm erwartet hätte, schnellt eine lange und nicht minder breite Zunge aus seinem Maul und wischt mir von unten nach oben mit einem Zug über das ganze Gesicht. So habe ich unverhofft ein Rendezvous mit einem riesigen Hundeopa.
»Tut mir leid«, mischt sich die Männerstimme in unser Tête-à-tête, »er meint es immer sehr gut.«
Ich lache und sehe dem Bullmastiff hinterher, der nun gemächlich davonschlurft.
Als hätten sich die Hunde in einer geheimen Rollenbesetzung abgesprochen, taucht dafür im nächsten Augenblick wieder der Springinsfeld mit einem Plüschtier im Maul auf. Er bleibt in zwei Meter Entfernung vor mir stehen und beginnt mit einem Konzert auf der Quietsche, die offenbar in dem Spielzeug verborgen ist. Das ist lustig anzusehen, denn die zugegebenermaßen sehr modernen Töne untermalt der Hund, indem er seinen Kopf auf jede erdenkliche Weise schieflegt.
»Sie sollten mit den Hunden zur Bühne gehen«, sage ich.
Der Mann lacht, und es hört sich an wie ein Donnergrollen.
»Bin ich schon, bin ich schon«, skandiert er. »Aber natürlich ohne die Vierbeiner.« Er lacht noch einmal herzhaft über die Vorstellung und bittet mich in ein Zimmer.
»Aaah, Sie sind Opernsänger?«, frage ich, als ich den Flügel sehe, der in einem geräumigen Erker steht und der von vielen Programmplakaten links und rechts an den Wänden flankiert wird.
»Ja-ha-ha-ha-haaa!«, schmettert er und wirft sich dabei scherzhaft in die Brust.
Wie ähnlich Hunde ihren Menschen und Menschen ihren Hunden sein können, erlebe ich jeden Tag. Aber es ändert nichts an meiner Verblüffung über eine solche Wesensverwandtschaft zwischen zwei ganz unterschiedlichen Arten. Dass aber der wichtigste Akt einer bühnenreifen Aufführung hier erst noch kommen wird, ahne ich nicht.
»Erziehung braucht er«, fasst der Opernsänger sein Anliegen zusammen, während er auf den jungen Hund deutet, der sein Spielzeug gerade in alle Einzelteile zerlegt. Ein prüfender Blick aus den schwarzen Knopfaugen des Hundes
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