Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
Position ein und trete, mit meinen Stoff- Füßlingen unter den Stiefeln, auf das Kissen. Maxwell weicht nach diesem Stellungswechsel zurück, um kurz darauf versuchsweise wieder nach vorn zu gehen. »Ssst!« Ich trete ihm entgegen und vor das Kissen. Als er versucht, um mich herumzuspringen, schnappe ich ihm mit zwei Fingern kurz in die Seite. Er dreht ab, nicht ohne sich noch mehrfach empört wuffend umzudrehen.
»Er beschwert sich«, sagt der Mann in besorgtem Tonfall.
»Natürlich. Jeder beschwert sich, wenn ihm noch nie eine Grenze gesetzt wurde und er nun plötzlich mit einer Regel konfrontiert wird. Das heißt jedoch nicht, dass ihm nicht vollkommen klar ist, was gerade passiert. Ein anderer Hund würde auch seine Pfote nehmen und sie schützend vor die ›Beute‹, auf sie drauf- oder um sie herumlegen, wenn er sie für sich beansprucht.« Ich illustriere das, indem ich in die Hocke gehe und mit der rechten Hand eine Pfote imitiere, die ich kurz auf, vor und um das Kissen bewege.
»Wenn Maxwell Menschen bei einer Abbruchhandlung noch nicht ernst nimmt, ist das einfach ein Ausdruck dafür, dass er Ihnen nicht zutraut, sich durchzusetzen. Sie haben vorhin zum Beispiel dreimal hintereinander ›Nein!‹ gerufen. Das war so eine Situation, in der er die Erfahrung gemacht hat, dass Sie zwar ein Meister der Warnung sind, aber nicht handeln.« Ich lache, um dieser Feststellung die Schärfe zu nehmen.
»Vielleicht versuchen Sie es erst einmal mit einem Geräusch, auf das Sie sich selbst besser konzentrieren können. Das Wort ›Nein‹ ist für den Hund zwar auch ein Geräusch, aber weil es zu unserer Alltagssprache gehört, verfallen wir dabei schnell in Wiederholungen, die uns vom Handeln abhalten. Bei Ihrem Hund Berthold reichte eine Warnung aus, um Maxwell von seinem Becher fernzuhalten. Der Jungspund hat bei ihm ganz sicher schon mehrere Erfahrungen mit Konsequenzen gemacht und überprüft deshalb gar nicht mehr, ob sie folgen würden. Das könnte auch Ihr Ziel sein. Wenn Sie warnen und handeln, wenn die Warnung nicht beachtet wird, wird Maxwell auch nicht mehr jedes Mal eine Konsequenz herausfordern.«
Berthold hat seine Rückenlage nicht verändert, könnte jedoch eingeschlafen sein, denn sein Atem ist unter dem Crème-fraîche-Becher leiser geworden. Es sieht aus, als sei er mit einer überdimensionalen Clownsnase ausgestattet.
»Ich denke, ich habe jetzt verstanden, was Sie meinen«, sagt der Mann in verändertem Tonfall. »Es tut also dem Kerlchen nicht gut, wenn es machen kann, was es will. Das war mein Denkfehler. Aber Sie haben Recht. Wenn jeder machen würde, was er will, gäbe es ein heilloses Durcheinander, und in wichtigen Situationen würde dann alles schieflaufen.«
Ich hebe zustimmend meinen Daumen und lache. »Das ist gut gesagt.«
Der Mann bückt sich entschlossen, nimmt das Kissen und wirft es wieder auf den Boden. »Sch.« Maxwell wittert eine neue Chance und springt auf das Kissen zu. Der Mann tritt ihm überraschend entschieden entgegen und blockiert den Weg. Der junge Hund spürt die Veränderung und reagiert mit einem perplexen Zurückweichen. Seine schwarzen Knopfaugen mustern den Mann. Er wägt ab.
Der Mann schätzt die Situation gut ein und geht noch einen weiteren Schritt auf den Hund zu, um seinen Entschluss mit Nachdruck zu demonstrieren. Der Hund sinkt in eine sitzende Haltung nach hinten und legt die Ohren an.
»Sie können jetzt zurücktreten und ›die Luft‹ herausnehmen!«, rufe ich. »Das Kissen gehört nun Ihnen.«
Der Mann tritt langsam hinter das Kissen und beobachtet Maxwells Reaktion.
»Sie dürfen nicht darauf warten, ob er es wieder nehmen will. Das spürt er«, sage ich, um ihn abzulenken. »Sie können ganz selbstbewusst darauf vertrauen, dass das Erbstück nun ganz Ihnen gehört.«
Der Mann richtet sich sehr gerade auf und streckt seinen umfangreichen Bauch nach vorn. Der Hund blickt ihn erwartungsvoll an und bleibt sitzen.
»Das ist nicht schlecht«, sagt der Mann, als würde er den ersten Bissen einer Speise beurteilen. Offenbar auf den Geschmack gekommen, beginnt er nun im Raum umherzulaufen und zu testen, ob der Hund das Kissen weiter ignoriert. Maxwell streckt prüfend den Kopf in die Richtung des begehrten Objektes. Der Mann macht aus fünf Meter Entfernung geistesgegenwärtig »Sch!« Die Augen des Hundes wenden sich ihm sofort zu.
»Also, das ist besser, als ich dachte.« Der Mann scheint seine frisch erworbene Dirigentenrolle zu genießen,
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