Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
denn er fährt sich mit beiden Händen behaglich über den Bauch. Dann nimmt er das Kissen vom Boden auf, klopft es ab und stellt es mit zufriedener Miene auf seinen Sofaplatz zurück.
»Da möchte ich gern noch eine Trainingsstunde machen.« Er setzt sich an den Tisch und schlägt seinen Terminkalender auf.
»Nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnrrrrr!« Wir zucken beide zusammen. Berthold ist, nach seinem letzten, intensiven Schnüffelzug, mit der riesigen Zunge in den winzigen Rest Crème fraîche gefahren und leckt ihn mit zwei Zungenschlägen auf. Dann spuckt er den leeren Becher in die Luft.
Plopp. Und der Becher rollt vom Sofa.
Maxwell stürzt darauf zu, um sich ihn zu schnappen, und blickt dabei prüfend zu Berthold. Der alte Hund dreht demonstrativ den Kopf weg, um sein Desinteresse zu bekunden. Maxwell beißt begeistert in den Becher, trägt ihn mit weit nach hinten geworfenem Kopf und durchgedrückten Gelenken triumphierend durch den Raum und sieht mit seinen nach oben gezogenen Lefzen aus, als ob er grinst.
»Aber jetzt hat er ihn ja doch!?«, ruft der Mann verwirrt.
»Weil Berthold den Becher freigegeben hat«, kommentiere ich den Vorgang und füge hinzu: »Das ist das Schöne an Entscheidungsträgern. Sie dürfen jederzeit ihre Meinung ändern, wenn das sinnvoll ist.«
Der Mann betrachtet seine beiden Hunde und sagt: »Na dann … Wenn ich das gewusst hätte.«
Begeisterung sieht anders aus
Ich hatte ein Gelände, auf dem ich vor Jahren arbeitete, von der Deutschen Bahn angemietet. Ein Glückstreffer, denn es liegt ganz zentral in meinem damaligen Wohnbezirk, dem Prenzlauer Berg. Um das Trainingsgelände herum nutzten auch andere Menschen die grüne Oase inmitten des Stadtgebiets.
Im Frühling 2009 sitze ich dort auf einem Zeltstuhl in der Sonne und halte mein Gesicht in die ersten wärmenden Strahlen. Ich genieße diese kurze Pause bis zum nächsten Trainingsbeginn, als plötzlich dumpfe Trommelschläge unmittelbar neben mir die Stille zerschlagen. Sie kommen aus einem Busch, vielleicht zwanzig Meter entfernt.
Ich stehe auf und sehe einen jungen Mann mit blonden Rastalocken auf der von mir abgewandten Seite des Busches sitzen. Er steht entweder noch am Anfang seiner Bongokarriere, oder er beabsichtigt, sich in Trance zu versetzen, denn sein Trommeln beschränkt sich auf einen einzigen eintönigen Rhythmus. Im Schneidersitz, die Bongos vor sich, trommelt er mit selbstvergessenem Blick zum Himmel. Er scheint dabei mit allem im Reinen zu sein, und die Unschuld, die er ausstrahlt, hält mich fast davon ab, ihn zu stören. Mit Rücksicht auf meine nächste Kundin bleibt mir jedoch nichts anderes übrig.
»Junger Musiker, auch ich liebe Musik, aber ich muss hier jetzt leider arbeiten. Könntest du vielleicht dort hinten ein schönes Plätzchen für dich auftun?« Ich zeige auf das weitläufige Gelände.
Der Musiker blickt mich offen an: »Oh, was arbeitest du denn?«
»Ich bin Hundetrainerin und zeige Menschen, wie sie mit einem Hund umgehen können«, erkläre ich mein Tun.
»Wow, das ist ja echt abgefahren. Und immer im Freien. Geil.« Er erhebt sich gemächlich. »No Problem. Dann rutsche ich mal rüber.« Er weist auf eine Baumgruppe, ungefähr 300 Meter entfernt. Ich blicke seinem schlurfenden Abgang mit einer gewissen Bewunderung hinterher.
Die große schlanke Frau, die kurze Zeit später mit ihrem Malinois auf mich zukommt, geht sehr aufrecht. Sie besitzt die lockere Anmut einer Läuferin. Ihre frische Gesichtsfarbe leuchtet, und ihr brauner Pferdeschwanz wippt bei jedem Schritt auf und ab.
Der Malinois, eine kurzhaarige Ausprägung eines belgischen Schäferhundes, läuft in geduckter Haltung und ständig um sich blickend dicht neben ihr her. Bereits von Weitem ist zu sehen, dass er auffällig dünn ist. Seine Rippen stehen unter seiner Haut hervor. Kurz bevor die Frau und der Hund mich erreicht haben, fährt am Ende des weitläufigen Geländes eine S-Bahn vorbei. Der Malinois springt sofort in die Richtung des Zuges und erwürgt sich fast selbst mit der Leine, während er in heller Aufregung fiept. »Nun haben Sie es gleich gesehen«, sagt die Frau, und wir geben uns die Hand.
»Aijajai, der arme Kerl«, sage ich mit Blick auf den inzwischen völlig aus dem Häuschen geratenen Hund, der dem letzten Waggon der S-Bahn ein hysterisches Bellen hinterherschickt.
»Wir können uns hierhin setzen«, schlage ich vor und lade sie hinter einen Stapel Paletten ein, der die Sicht auf die S-Bahn
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