Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
schaut auf den Hund, der sich hingelegt hat und ausruht. »Hoffentlich bleibt das so«, fügt sie mit flehendem Bick hinzu.
»War das ’n Problem?«, fragt der Bongospieler, der sich bisher noch nicht nach dem Grund für unsere Wurfübungen erkundigt hatte. Die Frau nickt lachend. »Und was für eins.«
Ich bedanke mich bei dem jungen Musiker, der daraufhin zu seiner Baumgruppe zurückwandert.
»Hält das denn jetzt tatsächlich an?«, fragt die Frau.
»Nein«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Sie müssen es, sooft Sie können, wiederholen. Mit allem, worauf er reagiert. Das kann zwei Wochen dauern oder vier Monate.«
Die Frau sammelt sich und blickt nach unten. »Okay, vier Monate schaffen wir. Ich weiß ja jetzt, was zu tun ist, und werde kämpfen.«
»Es fehlt jedoch noch ein wichtiges Element, wenn er dann ganz ›trocken‹ ist«, werfe ich ein.
Die Frau blickt mich abwartend an.
»Sie können dann wieder den Wechsel einführen zwischen dem Kommando, Beute zu machen, und Ihrer Entscheidung, dass man sie in Ruhe lassen soll. Wir könnten das in einer weiteren Stunde trainieren.«
»Stimmt. Ich würde dann den Beißarm mal mitbringen«, stimmt sie zu.
Fünf Wochen später bekomme ich einen Anruf: »Ich brauche keine Stunde«, jubelt die Frau. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir durch sind. Wilson hat seine Sucht verloren. Alle Kollegen, Familienmitglieder und Freunde haben die Anweisung von mir bekommen, nichts mehr zu werfen, wenn ich ihn nicht kontrollieren kann. Darauf steht ›Gefängnis‹, habe ich gesagt.« Sie lacht. »Und alle halten sich daran. Fliegende Objekte gibt es nicht mehr, und Wilson reagiert weder auf Bewegungen noch sucht er sie wie früher. Es gab aber einen Moment, in dem ich das Gefühl hatte, er würde wieder in seine Sucht nach dem Beißarm rutschen. Da habe ich einen Kollegen den Arm durch die Gegend werfen lassen, während ich ihn zum Tabu erklärt habe. Erst als Wilson entspannt war, durfte er ihn wiederhaben. Das habe ich dann eine Zeit lang immer vor dem Training so gemacht. Ich habe ihn geworfen oder werfen lassen und immer unregelmäßig gewechselt zwischen der Erlaubnis und dem Tabu, ihn zu nehmen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht geglaubt hätte, dass Wilson seine Leidenschaft behält, wenn ich seinen Trieb immer wieder abbremse. Aber Tatsache ist, dass er davon nichts verloren hat.«
»Wow, das ist ja großartig, wie Sie das selbst weiterentwickelt haben. Anders hätte ich es auch nicht gemacht. Aber mich wundert nicht, dass Wilson seine Leidenschaft nicht verloren hat. Auch die Musiker eines Orchesters müssten ja dann ihre Leidenschaft zur Musik verlieren, nur weil ein Dirigent die Regeln dafür vorschreibt«, erkläre ich lachend.
»Nicht schlecht gesagt«, lacht die Frau ebenfalls. »Wissen Sie, ich bin jetzt sehr froh, dass ich Ihre Methode ausprobiert habe. Es ging mir extrem schlecht mit der Härte, die ich zum Schluss bei Wilson angewandt habe. Als ich das erste Mal bei Ihnen auf der Wiese zusammenbrach, hatte ich gerade kapiert, dass das völlig unnötig gewesen ist. Das war nicht einfach zu verkraften. Ich konnte gar nicht fassen, warum ich meine Hunde noch nie aus dieser Sicht betrachtet hatte.«
»Das freut mich sehr. Haben Sie Dank für die Worte und Taten. Ich muss nur anmerken, dass es um keine Methode geht, sondern um reine Kommunikation, die jeden Tag neu gepflegt werden muss und darf, je nach Situation. Was Sie gerade stoppen oder zum Tabu erklären, können Sie im nächsten Moment einfach laufen lassen oder freigeben und umgekehrt. Das ist das Lebendige und Spontane daran. Weil wir gerade bei der Spontanität sind: Sie haben indirekt jemandem zu einer Entscheidung verholfen.« Ich mache eine kleine Pause.
»Ach, und wem?«, fragt sie neugierig.
»Der junge Mann, der uns dabei half, Bälle zu werfen, hat jetzt in puncto Berufswahl eine abschließende Entscheidung getroffen. Er will nun Hundetrainer werden.«
Geschenke
Als ich der Protagonistin dieser Geschichte meinen Text zu lesen gab und sie um ihr Einverständnis zur Veröffentlichung bat, bestand sie darauf, den von mir wie üblich geänderten Namen durch ihren eigenen Namen zu ersetzen. Sehr mutig sagte sie: »Es ist meine Geschichte, und dazu stehe ich.«
Die Wundertüte
Das schmucklose kleine Haus duckt sich unauffällig in die Stille der breiten Dorfstraße. Ein alter Mann mit einem struppigen Dreißig-Tage-Bart öffnet mir die Tür.
»Guten Tag, ich suche Isabell.
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