Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
seitlich den Raum zwischen ihm und dem Kong.
»Plopp, plopp, plopp.« Das Spielzeug springt nach dem Wurf der Frau über den Boden.
»Heyja!« Wilson schießt trotz meiner Warnung los. Ich springe fest auf die Schleppleine, die er hinterherzieht, und stoppe ihn. Noch immer starrt er in die Richtung des Kongs. Wie eine Seiltänzerin bewege ich mich auf der Leine nach vorn und trete dann mit ruhiger Präsenz vor ihn. Ich verzichte auf einen Zweifingerstüber als Konsequenz, weil er so angespannt ist, dass eine Berührung bei ihm im Moment nur einen Schreck auslösen würde. Er sieht mich überrascht an und weicht zurück.
Jetzt, wo er mir wieder zuhört, gehe ich, ihn mit meinem Arm einladend, zurück. Er folgt mir anstandslos.
»Plopp, plopp … plopp … plopp.«
»Schhhhhht!« Ich springe dieses Mal schneller vor den Hund, als er selbst loslaufen kann. Er weicht zurück in eine sitzende Haltung. Ich nehme den Druck heraus und gehe wieder von ihm weg. Der Hund schließt sich mir an.
»Ploop, plopp!«, springt der Kong hart und hoch vom Boden ab.
»Schhhh.« Wilson verlässt den Platz neben mir nicht mehr.
Als ich zu der Frau hinüberschaue, erschrecke ich. Ihre vorher so geraden Schultern sind herabgefallen, ihre Arme baumeln seltsam kraftlos neben ihr. In ihren Augen stehen Tränen. Betroffen gehe ich zu ihr und frage: »Was ist denn passiert?« Sie hockt sich wie ein Kind auf den Boden und beginnt leise zu weinen.
Für einen Moment fühle ich mich hilflos, weil ich nicht weiß, was sie so erschüttert hat. Dann hocke ich mich neben sie auf den Boden und lege meine Hand auf ihren Rücken. Das Weinen der Frau wird heftiger. Wilson leckt ihr beschwichtigend das Kinn. Plötzlich hebt sie den Kopf und sagt: »Wie kann das denn sein, ich verstehe das nicht. Ich arbeite seit zehn Jahren mit Hunden, und ich habe gerade mit Wilson alles probiert. Das kann doch nicht alles falsch gewesen sein. Ich muss das erst einmal verdauen. Wir haben ja noch einen Termin nächste Woche.« Abrupt steht sie auf und verabschiedet sich.
Eine Woche später erwarte ich sie. Es ist fünf Minuten nach Trainingsbeginn, und ich befürchte, dass sie nicht kommen wird. Auch wenn ich Aus- und Zusammenbrüche in der Art, wie ich es bei meiner letzten Begegnung mit ihr erlebt habe, schon von anderen Menschen kenne und inzwischen das Gefühl habe, sie gehörten zu einer starken Veränderung dazu, weiß ich dennoch nie, wohin sie führen. Falls die Polizistin kommt, möchte ich ihr von der Trainerin erzählen, die 2011 aus Rostock zu einem meiner Trainerseminare angereist war. Sie hat das wohl schönste Bild dafür gefunden, wie man bisher Praktiziertes mit einer völlig neuen Praxis verbinden kann. Nachdem sie am zweiten Tag des Seminars noch bleich und verstört äußerte, dass doch nicht alles falsch oder umsonst gewesen sein könne, was sie bisher geleistet hat, berichtete sie am dritten Morgen Folgendes: »Gestern Abend ging es mir sehr schlecht. Ich konnte und wollte mich nicht von meiner alten Herangehensweise, mit klassischer Konditionierung zu arbeiten, verabschieden. Zum einen erinnerte ich mich an viele Fälle, in denen sie sehr gut zu gebrauchen war, zum anderen aber fielen mir auch viele Fälle ein, in denen ich damit nicht weiterkam. Plötzlich hatte ich eine Idee. Du sprichst ja immer von einem Handwerkskoffer, der möglichst reich gefüllt sein sollte mit vielen Werkzeugen«, dabei sah sie zu mir herüber. »Ich habe nun einfach meinen Handwerkskoffer gestern Nacht komplett ausgeräumt. Dann habe ich ihn schön gesäubert und mir in Ruhe alle Handwerkszeuge angesehen, die ich zur Verfügung habe. Alle, die mir schon gut geholfen haben, legte ich zurück in den Koffer, die anderen entsorgte ich. Und von diesem Seminar nehme ich viele neue Handwerkszeuge mit, die bei dem helfen können, was bisher nicht ging.«
Als ein paar Minuten später das Auto der Polizistin vorfährt und sie aussteigt, ahne ich, dass ich diese Geschichte vielleicht gar nicht erzählen muss. Ihren Bewegungen ist anzusehen, dass sie offenbar schon einen Entschluss gefasst hat, mit dem sie sich gut fühlt. Nachdem sie Wilson aus dem Wagen gelassen hat, kommt sie mit schwungvollem, energiegeladenem Schritt auf mich zu. Ihr Pferdeschwanz hüpft dabei übermütig. »Sie werden es nicht glauben, ich kann es. Es war so einfach«, sprudelt es aus ihr heraus.
»Ich bin gespannt. Erzählen Sie«, sage ich und lade sie ein, auf einem Zeltstuhl Platz zu nehmen.
Als
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