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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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wissen, was Emotionen wie Angst, Panik, Wut, Schmerz usw. in einem selbst auslösen, um zu spüren, was im Hund vor sich geht. Dadurch weiß man punktgenau, wie auf einer emotionalen Landkarte, wo der Hund sich gerade innerlich befindet. Nur so ist es möglich, mit ihm die Klippen zu umschiffen, die seine Ängste bereithalten. Kann man das nicht leisten, riskiert man, dass der Hund »verloren geht« – an eine weitere Angststörung oder eine Retraumatisierung.
    Marcy fühlt nach ungefähr drei Minuten, dass ich mich nicht durch ihre Panik und ihre bewährte Schnapptechnik in die Flucht schlagen lasse. Plötzlich hört sie auf und öffnet hechelnd das Maul. Das ist ein gutes Zeichen dafür, dass sie beginnt, das Geschehene aufzunehmen und zu verarbeiten.
    Ich hocke mich hinter sie und umschließe mit beiden Händen rahmend ihre Schulterblätter. Wenn ein Wesen in Angst und/oder Panik kein Gefühl mehr dafür hat, wo es anfängt und endet, es sprichwörtlich »außer sich« ist, ist ein körperlicher Rahmen sehr hilfreich. Dazu hockt man sich hinter den Hund und legt beide Hände fest, aber ohne zusätzlichen Druck um seine Schulterblätter.
    Unter meinen Handflächen spüre ich, wie Marcy langsam auf mich zu reagieren beginnt. Sie atmet tief durch und schmatzt. Ich erhebe mich ruhig und stelle mich vor sie hin. Mit einer kleinen Bewegungseinschränkung und einem langgezogenen Informationslaut, »ssssss«, teile ich ihr mit, dass sie an ihrer Stelle bleiben und sich entspannen kann. Ein einziges Mal setzt Marcy eine Pfote prüfend nach vorn und beobachtet meine Reaktion. »Was tust du, wenn ich das tue?«, könnte man ihre Frage übersetzen.
    Meine Antwort darauf ist: Ich werde weder lauter, noch massiver, jedoch ein wenig präsenter. (Diese Energie erhält man am besten, wenn man sich vorstellt, dass man innerlich nicht hochfährt, sondern nur breiter wird.)
    »Scht.«
    Sie setzt sich augenblicklich wieder hin und sieht mich ruhig abwartend an. Ihre Panik ist vollkommen vorbei.
    »Guuuutes Mädchen«, sage ich lächelnd. Ein tiefer zustimmender Ton ist dabei für einen unsicheren Hund sehr angenehm. Er informiert ihn darüber, wann sein Verhalten angemessen ist, fährt ihn jedoch nicht hoch wie ein helles: »Feeein!«, das ihn entweder beschleunigt oder zusätzlich aufregt.
    Nach kurzer Zeit legt Marcy sich hin und den Kopf ab. Im Film später sieht man deutlich einen Blick von ihr, den ich, mit dem Rücken vor ihr stehend, in diesem Moment gar nicht wahrnehmen kann. »Wie toll, dass du stark bist, mach du mal«, könnte er ausdrücken.
    Jetzt möchte ich Isabell zeigen, was die Hündin braucht. Ich bin mir jedoch noch unsicher, wie ich die Langsamkeit der jungen Frau in Einklang mit den blitzschnellen Reaktionen des Hundes bringen kann.
    »Ich mache es dir einmal vor, bist du bereit, Isabell?«, frage ich sie, bevor meine Mitarbeiterin Kerstin an die Tür klopft und Besuch spielt.
    »Jaaaa.« Isabell zieht den Ton in ihrer schleppenden Art in die Länge und sieht mich blass und mit angstvollem Gesicht an. Es klopft. »Sssst«, ich informiere die Hündin, bevor sie reagiert, darüber, dass ich das Klopfen gehört habe und mich um den »Eindringling« kümmern werde. Sie bleibt sitzen. Kerstin betritt den Raum, die Hündin will nach vorn schießen. Ich stoppe sie mit meinem Körper. Marcy explodiert und packt die bereits ritualisierte Schnapptechnik wieder aus. Stinksauer darüber, dass sie die Situation nicht mehr kontrollieren darf, bellt sie mich wieder an. Während sie wie eine Kobra immer wieder zustößt, suche ich mir mit meinen Händen einen Weg zu ihren Schulterblättern, Dann gebe ich ihr erneut einen »Rahmen«, bis sie sich beruhigt hat. Dieses Mal entspannt sie sich sehr schnell.
    Nachdem Kerstin den Raum verlassen hat, um erneut hereinzukommen, ist Isabell an der Reihe.
    »Isabell, du kannst jetzt aus Marcys schlechten Erfahrungen und Angewohnheiten gute Handlungen machen. Deshalb nutze jede Situation, in der du dich beweisen kannst, und hab keine Angst davor. Je öfter du Führung demonstrieren kannst, umso schneller kann Marcy sich dir anvertrauen«, versuche ich sie in ihrer Schüchternheit zu bestärken.
    Kerstin klopft aufs Neue.
    »Ss.« Isabell reagiert etwas zaghaft, aber überraschend prompt. Marcy ist aufgesprungen und bellt.
    »Gib ihr einen kleinen Fingerstups in die Seite und sage etwas energischer ›Scht‹ oder ›Hey!‹. Du willst nicht mehr, dass sie solche Situationen übernimmt.

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