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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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hätte die Verkehrsgesellschaft einen Zeitplan für Wilsons Ankunft parat, naht in diesem Moment eine S-Bahn. Wilsons Pupillen weiten sich, sein Kopf geht nach vorn, sein Oberkörper … »Heyja!« Die Frau springt vor ihn und schiebt ihn energisch, aber nicht unfreundlich zurück. Wilson lässt von der S-Bahn ab und legt sich hin.
    Ich sehe erst ihn, dann die Frau überrascht an. »Das meine ich«, sagt sie lächelnd. »Ich habe es verstanden.«
    »Wow«, sage ich bewundernd und völlig überrascht. Ich strecke die Hand aus, es ist mir ein spontanes Bedürfnis, ihr zu gratulieren.
    Wilson schnuppert an meinem Jackenärmel und wedelt leicht mit dem Schwanz.
    »Dann können wir ihn heute vollständig ›trockenlegen‹?«, frage ich lächelnd auf den Hund blickend.
    »Gern«, nickt sie. »Wenn das tatsächlich möglich ist. Er reagiert ja weiterhin stark, und ich muss ihn jedes Mal stoppen.«
    »Ich würde vorschlagen, dass wir ihn, so oft es geht, mit allen Suchtauslösern konfrontieren, die wir ihm hier bieten können, und ihm neben der Führung, die ihm die Beschäftigung damit untersagt, zugleich eine Möglichkeit zum Druckabbau anbieten. Ich habe ein Fahrrad dabei, an dem er sich den Suchtdruck ablaufen kann. Soll ich mal vormachen, was ich meine?«
    Die Frau nickt eifrig. »Bedenken Sie nur, dass er Fahrräder ja auch jagt«, fügt sie einschränkend hinzu.
    Ich nehme Wilson an der Leine mit mir. Er läuft ruhig nebenher und vergewissert sich immer wieder mit einem Blick in meine Richtung, ob er das, was er macht, gut macht.
    Ich bestätige all diese Anfragen mit einem tiefen anerkennenden Ton. »Priiiiiima.« Feine, empfindsame und/oder unsichere Hunde brauchen neben der Korrektur unbedingt auch die deutliche Information, wann es gut ist, was sie tun. Bei anderen Hunden führt eine akustische Bestätigung eher zum Gegenteil. Ein sicherer Hund würde sich fragen, was er falsch gemacht hat, weil er auf sein Verhalten aufmerksam gemacht wurde. Ein aufgeregter Hund würde durch die Anerkennung noch aufgeregter werden. Und ein ängstlicher Hund würde sich durch das Lob in seiner Angst bestätigt fühlen.
    Für Wilson ist eine Bestätigung genau richtig, weil er immer wieder danach fragt.
    Im Vorbeigehen nehme ich das Fahrrad auf die andere Seite. Als es sich bewegt, geht alarmiert der Kopf des Hundes nach oben.
    »Hooooo!« Ich bremse ihn nur ab, ohne ihn zu stoppen, weil die Bewegung sehr klein ist.
    Nach ein paar kurzen Seitenblicken auf das Gefährt läuft Wilson ruhig neben mir. Ich bleibe stehen und steige auf.
    Beim Anfahren springt Wilson bellend nach vorn, um in die Reifen zu beißen. Er bringt seinen Körper dabei vor das Rad, um es zu stoppen.
    Ich halte sofort an, lasse das Rad neben mich auf die Wiese fallen und bringe mich neben den Hund. Dann greife ich ihm in die Backenhaut über dem Kiefer. (Man kann diesen Griff an sich selbst ausprobieren, um zu sehen, dass er nicht weh tut, aber sehr wirksam ist.)
    Da Wilson plötzlich in einen aggressiven Beute- und Hütetrieb wechselte, musste auch ich die Intensität meiner Korrektur dieser Energie anpassen. Nach meiner Erfahrung sind ein Stüber oder ein Bodyblock von vorn in diesem Fall nicht sehr wirkungsvoll. Wilson würde ein Touchieren seines Körpers einfach ignorieren und einem Bodyblock auszuweichen versuchen, um wieder an das Fahrrad zu gelangen. Um wieder einen Kontakt herzustellen, halte ich ihn deshalb mit dem Backengriff kurz fest, wende sein Gesicht mir zu und sage sehr ruhig und fest: »Hey!«
    Wilson blinzelt mich an, und man sieht, wie er aus seinem Beuteinstinkt auftaucht und in den Trieb, sich einer Führung anzuvertrauen, zurückkehrt. Ich warte noch einen Moment, bis er wieder ganz ruhig ist, und nehme erst dann erneut das Rad an meine Seite.
    »Scht«, warne ich ihn vor. Wilson ignoriert das Rad. Bevor ich aufsteige, spreche ich noch eine Warnung aus: »Schhhhhhhh.« (Denk gar nicht drüber nach, soll die Energie dieses langgezogenen Tones ausdrücken.) Ich fahre los, und Wilson trabt ruhig neben dem Fahrrad her.
    Nach ein paar Runden über das Gelände nähert sich plötzlich eine S-Bahn auf den ungefähr zweihundert Meter entfernten Gleisen. Sofort wende ich und fahre in einem sehr schnellen Tempo von ihr weg. Wilson muss vom Trab in den Spurt wechseln. Wenn er sich nach der S-Bahn umdrehen will, korrigiere ich ihn mit einem »Scht«. Wenn er dann immer noch nicht aufhört, berühre ich ihn leicht mit der Fußspitze in der Seite, weil

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