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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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Punkt. Das muss deine innere Haltung sein. Ein Leithund würde die Aufregung eines so panischen Hundes nie erlauben. In einem Hunderudel könnte sie damit alle in Gefahr bringen.«
    Isabell versucht es erneut. »Scht.« Sie tritt auf Marcy zu und gibt ihr vorsichtig einen kurzen Stüber. Marcy verstummt. »Herein«, ruft Isabell leise.
    Ich mache mich bereit, um einzugreifen, falls Isabell die Explosion nicht abfangen kann, mit der ich bei Marcy rechne. Die Tür öffnet sich. Marcy friert ein wie ein abschussbereiter Schütze, der sich noch einen Moment sammelt, bevor er den Pfeil loslässt. Doch jemand anders ist schneller als sie. Isabell macht ein so entschiedenes »Scht« und setzt einen so flinken Ausfallschritt vor die Hündin, dass sich Marcy verdattert wieder hinlegt. Es ist dieselbe Energie, die ich bei den Interviews schon so überrascht registriert habe. Die andere Isabell ist wieder aufgetaucht.
    Kerstin kommt herein, gefolgt vom Regisseur. »Scht.« Wieder demonstriert Isabell einen präzisen Bodyblock vor der Hündin, die sich gerade wieder aufregen will. Es ist förmlich zu sehen, wie die Luft aus Marcy entweicht, die sie schon gesammelt hatte, um loszulegen. Dennoch verfolgt sie mit Argusaugen alle Bewegungen im Raum.
    »Du solltest die Aktionen der anderen für Marcy kommentieren«, sage ich, »damit sie sicher sein kann, dass du die Handlungen der Besucher wahrnimmst und dich weiter um alles kümmerst. Dazu könntest du zum Beispiel zu diesen hinsehen und mit einem leisen, langgezogenen ›Schhhhhhhh‹ tief und entspannt ausatmen. So weiß Marcy nicht nur, dass du bemerkst, was sie selbst sieht, sondern auch, dass du entspannt dabei bleibst. Bei Hunden bedeutet zum Beispiel ein sehr kurzes Knurren häufig ein direktes Stopp und ein längerer grollender Ton eine Warnung. Ein langer Ton ohne Schärfe jedoch, in Verbindung mit einem Blick auf den Auslöser, ist häufig ein Informationslaut für den Rest der Gruppe, dass man etwas gesehen hat und sich darum auch zu kümmern gedenkt. Du musst immer darauf achten, dass dieser Informationslaut nicht angespannt oder voll Schärfe klingt, sonst informierst du Marcy darüber, dass du von einer Gefahr beunruhigt bist, und animierst sie, dich unterstützen zu wollen.
    Jetzt zum Beispiel, wenn sich der Kameramann bewegt, könntest du hinsehen und sie mit einem Infolaut sehr ruhig davon informieren, dass du das im Blick hast. Am besten gelingt der Ton, wenn du zum Beispiel so tief du kannst ›Schhhhhhööön‹ sagst, so bleibst du weich. Später, wenn Marcy verinnerlicht hat, dass sie sich auf dich verlassen kann, musst du das nicht mehr tun, oder nur noch, wenn du siehst, dass sie etwas sehr beunruhigt. Im Moment weiß sie ja noch nicht, dass du dasselbe wahrnimmst wie sie. Du meldest dich ja immer erst auf ihre Reaktion hin.«
    Während Isabell mit einem langen »Ssssschh« ausatmend kommentiert, dass Kerstin gerade auf dem Sofa Platz nimmt und Bernd sich an die Seite stellt, beginnt sich Marcy zusehends zu entspannen. Sie legt sich hin und den Kopf ab.
    Gerade in Situationen wie diesen registriert ein Hund genau, ob man für seinen Schutz sorgt oder ihn der Situation überlässt, was ihn wiederum dazu bringt, selbst zu agieren. Wir wissen, warum Besucher anwesend sind. Ein Hund kennt weder die Bedeutung der Personen noch den Hintergrund ihrer Handlungen. Er weiß nicht, dass wir sie eingeladen haben. In Marcys Welt sitzt plötzlich Kerstin, eine wildfremde Frau, auf dem heimischen Sofa. Der Regisseur, ein ebenso unbekannter Mann, lehnt an einer Wand. Der dünne Kameramann hockt zusammengekauert auf dem Boden wie ein riesiges Insekt, das ein schwarzes Kameraauge in den Raum reckt. Neben ihm steht ein hochgewachsener Mann wie ein menschlicher Leuchtturm, aus dem zusätzlich ein Galgen ragt, an dessen Ende ein riesiger Plüschbesatz hängt. Marcy kann nicht wissen, dass dies ein Filmteam samt Helferin ist. Damit sie sich also so entspannen kann, wie sie es gerade tut, waren Isabells Kommentare zu diesen Personen dringend notwendig.
    Nachdem sich Marcy erholt hat, wollen wir Straßenbegegnungen einüben, damit Isabell weiß, was sie bei Spaziergängen beachten sollte. Wir führen eine Situation herbei, bei der uns Kerstin mit meiner Hündin Frieda entgegenkommt. Als Marcy die fremde Hündin erblickt, rastet sie aus und fällt in ihre ritualisierten Bell- und Schnapp-Aktionen zurück. Neben der Panik ist ihr die Wut darüber anzumerken, dass sie sich nicht

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