Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
dann blieb sie einfach bei ihm liegen.
Susanne berührte sanft ihren Arm. »Ich übernachte im Wohnzimmer. Wenn du mich brauchst, ruf einfach.«
Constanze nickte und drückte Susannes Hand. »Danke«, murmelte sie schwach.
»Ist schon gut. Versuch, ein wenig zu schlafen, Liebes.« Susanne strich ihr eine tränennasse Strähne aus dem Gesicht, dann ging sie leise zur Tür.
Constanze lag, beide Arme um ihren schlafenden Sohn geschlungen, unbewegt da. Obwohl sie körperlich und mental am Ende war, fand sie keine Ruhe. Sie nahm schwach Silas’ Geruch wahr, der den Kissen immer noch anhaftete, und drückte verzweifelt ihr Gesicht hinein. Ihre Gedanken kreisten unablässig um ein und dieselbe Frage. Was war in Frankfurt geschehen?
Silas hatte gewusst, auf was er sich einließ. Er hatte seinen Gegner mit voller Absicht aus der Deckung gelockt. Das hatte er ihr gesagt. Er war ein Profi. Als Michaels Schergen in ihre Wohnung eingedrungen waren, hatte er nicht eine Sekunde lang den Überblick verloren. Egal wie verfahren die Lage auch gewesen war, er hatte sie gemeistert. Wie konnte es sein, dass er jetzt bei einer Explosion ums Leben kam? Er war der Magier. Er konnte nicht so einfach sterben. Blicklos starrte sie auf die mondbeschienene Zimmerdecke, während Tränen über ihre Wangen rannen. Hatte Michael ihm eine Falle gestellt? Oder der andere Killer? War er ihretwegen ein zu hohes Risiko eingegangen? Der Gedanke verursachte ihr Atemnot. Nein, nicht Silas. Er war seinem Gegner stets einen Schritt voraus. Er hatte immer jedwede Eventualität bedacht. Es gab nichts, was ihn überraschen konnte. Und das war so, weil er ein sagenhaftes Gespür besaß, Situationen richtig einzuschätzen – trotzdem war sein Wagen explodiert.
Constanze hob die Hand und betrachtete den Silberring, den er ihr vor seiner Abreise gegeben hatte und den sie seither ununterbrochen trug. Ihr Herz brannte vor Schmerz. Nur wenige Tage waren vergangen, seit sie Silas das letzte Mal berührt hatte. Es kam ihr plötzlich wie Jahrzehnte vor. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass er für immer fort sein sollte, nie wieder zurückkehren, sie nie wieder in seine Arme schließen würde.
Als ließe sich die Qual damit lindern, presste sie die Hand mit seinem Ring zur Faust und rollte sich schluchzend zusammen. Sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Sie weinte um die Liebe ihres Lebens, um den Mann, mit dem sie bis ans Ende der Welt gegangen wäre. Dieser Verlust war schlimmer als alles, was sie je erlitten hatte. Zum ersten Mal verstand sie, warum ein Mensch aus Kummer sterben konnte.
Susanne wich in den folgenden Tagen keine Minute von Constanzes Seite.
Sie rief in der Buchhandlung an und beauftragte Beate, dass sie das Geschäft bis auf Weiteres schließen solle, kümmerte sich um den Haushalt und half Constanze in jeder denkbaren Weise.
Constanze stand völlig neben sich. Nur Eliah zuliebe riss sie sich zusammen. Er war sehr blass und sprach kaum ein Wort. Sie hatte ihm noch nicht gesagt, warum Silas nicht mehr nach Köln zurückkam. Irgendetwas in ihr verschloss sich davor, ihm zu berichten, dass Silas tot war. Sie konnte es selbst noch nicht akzeptieren. Selbst nachdem sie drei Nächte darüber verbracht hatte, selbst nachdem Frank ihr die erdrückenden Beweise erneut bestätigt hatte, wehrte sich jede Faser ihres Körpers dagegen. Sie begriff nach wie vor nicht, warum Silas gestorben war. Vielleicht würde sie das nie.
»Was willst du denn jetzt unternehmen?«, fragte Susanne, als sie am Abend gemeinsam den Tisch abräumten. Trotz Franks heroischen Kochversuchen hatte kaum jemand etwas gegessen.
Constanze schluckte. »Ich werde so schnell wie möglich mit Eliah untertauchen. Das hätte ich schon lange tun sollen, dann wäre Silas vielleicht noch am Leben.«
»Das weißt du nicht.« Susanne atmete schwer. »Außerdem ist das keine endgültige Lösung – selbst wenn wir dich in unserem Ferienhaus in München unterbringen. Ohne neue Identität ist es nur eine Frage der Zeit, bis Michael dich erneut findet. Damit gewinnst du bestenfalls einige Monate. Wenn du hierbleibst, bist du wenigstens nicht allein. Du kannst jederzeit auf uns zählen.«
Constanze drängte die allgegenwärtigen Tränen zurück. »Das ist lieb. Aber ich will euch unter keinen Umständen mit hineinziehen. Eliah und ich müssen verschwinden.«
Erst vor wenigen Wochen hatte sie ähnliche Überlegungen angestellt. Mit dem Unterschied, dass sie dieses Mal wirklich
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