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Wie weit du auch gehst ... (German Edition)

Wie weit du auch gehst ... (German Edition)

Titel: Wie weit du auch gehst ... (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Stefanie Höll
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passendes Accessoire zu dem Mann, der ihn bei sich tragen würde …
    Er schlüpfte aus T-Shirt und Hose und ging in Unterwäsche zum Metallschrank. Nachdem er einen Code in das Tastenfeld eingetippt hatte, klappte er die Schwingtüren auf. Der Schrank besaß fünf geräumige Schubladen mit ähnlichem und doch grundlegend verschiedenem Inhalt. Ohne zu zögern, entschied er sich für die unterste. Silas verzog die Mundwinkel, als er eine mausgraue Perücke herausnahm. So schnell alterte man um schätzungsweise vierzig Jahre. Sorgsam legte er alles, was er zu seiner Metamorphose in den betagten Biologen Paul Erding brauchte, auf die Werkbank. Danach drehte er die Tür des Metallschranks so, dass er sich in dessen verspiegelter Innenseite gut erkennen konnte, und machte sich an die Arbeit.
    Er striegelte sich die Haare aus dem Gesicht und verstaute sie unter einer fleischfarbenen Nylonhaube. Hauchdünne Klebestreifen lieferten ihm in Sekundenschnelle neue Fingerabdrücke und nach wenigen Handgriffen kaschierten kleine Silikonpflaster nicht nur seine hageren Wangen, sondern ließen auch die markante Form seines Kinns wie von Zauberhand verschwinden. Er wartete einen Moment, bis der Kleber getrocknet war, dann begann er, Gesicht und Hände mithilfe eines speziellen Make-ups auf alt zu trimmen. Zum Abschluss streifte er sich die Perücke über und färbte seine Augenbrauen in denselben schmutzig grauen Ton. Braune Kontaktlinsen rundeten das Erscheinungsbild ab. Die Sache dauerte weniger als eine halbe Stunde, dennoch war der Effekt beachtlich. Sein Spiegelbild zeigte jetzt einen alten, fahlen und etwas zerstreut wirkenden Mann – mit einem erstaunlich durchtrainierten Körper …
    Schmunzelnd stieg Silas in einen gepolsterten, eng anliegenden Dress, den er während der nächsten Tage ständig unter seiner normalen Kleidung tragen würde, und löste damit auch dieses Problem. Ein braun kariertes Sakko und eine Cordhose, die ihre beste Zeit schon lange hinter sich hatte, vervollständigten seine Verwandlung.
    Er nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Das Zeug, mit dem er sich die Zähne gelblich färbte, hatte einen grässlichen Nachgeschmack. Er war jedes Mal heilfroh, wenn er es nach Beendigung seines Auftritts wieder entfernen konnte.
    Als er erneut in den Spiegel sah, deutete nichts mehr auf den jungen Mann hin, der unter der Hülle des leicht übergewichtigen Seniors steckte. Nicht einmal Nevio erkannte ihn, wenn er in eine andere Identität schlüpfte. Das war auch gut so. Schließlich entsprach das dem Zweck der ganzen Scharade. Ohne diese Wandlungsfähigkeit wäre es ihm sicher nicht gelungen, all die Jahre ohne nennenswerte Kratzer zu überleben. Außerdem stellte es einen bedeutenden Vorteil dar, wenn man sich in verschiedenen Kreisen bewegen musste.
    Seine Gedanken wanderten zu Constanze. Wie sie wohl reagieren würde, stünde er jetzt vor ihr? Wahrscheinlich freundlich und genauso distanziert, wie sie jedem fremden Mann begegnete – und manchmal auch einem bekannten. Er dachte an ihre deutlich spürbare Abwehr gegen Roland Becker.
    Silas könnte schwören, dass Constanze ihrem Nachbarn nicht gestattet hätte, ihre Hand zu ergreifen. Bei ihm hatte sie es getan. Keine Frage, er hatte eine gehörige Portion Glück gehabt, die ersten Hürden durch einen defekten Aufzug überwinden zu können. Obwohl … Diesem Roland hätte wahrscheinlich nicht einmal das etwas genutzt. Wie lange kannte der Typ Constanze schon? Zwei Jahre? Seiner Recherche zufolge wohnte er jedenfalls von Beginn an in ihrer Nachbarschaft. Und doch war es ihm in all der Zeit offensichtlich nicht gelungen, an sie heranzukommen. Diese Tatsache freute Silas in mehr als nur einer Hinsicht. Erstens hatte es ihm eine perfekte Gelegenheit geschaffen, Constanze auf den Ball zu begleiten, und zweitens – was noch viel wichtiger war – bewies es ihm, dass er mit seinem Feldzug schon weiter gekommen war als zunächst angenommen. Schön. Gut so weit. Aber noch lange nicht weit genug.
    Nachdenklich verstaute er die restlichen Waffenteile an seinem Körper. Seit er mit Jara gesprochen hatte, nahm der heimliche Wunsch, Constanze und Eliah mit nach Chile zu nehmen, immer konkretere Formen an. Die Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft ließ ihn einfach nicht mehr los, kreiste in seinem Kopf herum wie ein Spielzeugflieger an einer Schnur.
    Viel zu früh , klinkte sich sein Verstand ein. Es gab noch jede Menge Geheimnisse auszuräumen. Die Art von

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