Wie wollen wir leben
uns früher gröÃere Sorgen über den Ãbergang zu einem Mehrparteiensystem. Lange waren wir das Dreiparteiensystem gewohnt, mit der Sonderrolle der CSU. Dann kam eine vierte Partei hinzu, die Grünen, schlieÃlich eine fünfte, Die Linke. Wir waren besorgt, dass eine solche Entwicklung alles schwieriger machen würde. Heute würde ich aber sagen: Die Demokratie hat dadurch bisher keinen wahrnehmbaren ernsten Schaden erlitten. Im Gegenteil. Es hat dem Thema Umweltschutz, ich sagte es schon, eine verstärkte parlamentarische Vertretung verschafft. Und dass der Marsch durch die Institutionen die Marschierer noch stärker verändert hat als die Institutionen, das ist ja auch nicht so schlecht. Die Wahlmöglichkeiten sind nun gröÃer geworden, und die Zahl der Menschen, die nicht milieubedingt, sondern
von Fall zu Fall entscheiden, hat erheblich zugenommen. Das kann einen belebenden Charakter haben, das kann einen guten Wettbewerb auslösen.
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Ist das Regieren in einem Fünfparteiensystem zwangsläufig komplizierter?
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Am einfachsten ist es wohl, wenn eine Partei die absolute Mehrheit hat â in der Bundesrepublik gab es das auf Bundesebene bisher nur ein einziges Mal, unter Adenauer. Ãber viele Phasen hinweg ist bei uns eine Zweiparteienregierung selbstverständlich gewesen, eine groÃe Partei, die noch eine kleinere gebraucht hat. Oder eben eine GroÃe Koalition. Neuerdings gibt es Dreiparteienkoalitionen auf Länderebene, das stelle ich mir schon schwieriger vor. Aber im Saarland zum Beispiel funktioniert das Dreierexperiment, so scheint es mir, nicht schlechter als anderswo Zweier-Koalitionen. Dieses Bundesland ist vielleicht aber auch seiner geringen GröÃe wegen ein Sonderfall.
Jetzt zu den zwei Volksparteien: Ich würde es bedauern, wenn diese beiden wichtigen politischen Faktoren auf ein ungenügendes quantitatives Niveau absinken würden. Denn dann würde die Kombination noch schwieriger werden. Ich würde mir wünschen, dass die Volksparteien auch in Zukunft ihre Unterschiede deutlich genug zeigen, Unterschiede, die aber nicht nur einen bestimmten Teil der Gesellschaft ansprechen, sondern bei denen jeder sagen kann: »Ich gehöre zwar gesellschaftlich gesehen in eine andere Partei, aber ich engagiere mich in dieser, weil sie recht hat.« Man kann sich übrigens ebenso für eine Partei engagieren, weil man Respekt vor ihrer Geschichte hat.
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Wenn man diese noch kennt.
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Man könnte sich ein bisschen selbst darum kümmern.
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Was die Wiedererkennbarkeit angeht â haben die beiden groÃen Parteien es in den letzten Jahren den Wählern schwerer gemacht?
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Ja. Etwa weil die Union sich sozialdemokratischen Positionen in einem Tempo angepasst hat, das mich einerseits erfreut, andererseits aber überrascht hat.
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Vorher hatten sich die Sozialdemokraten Positionen angepasst, die die eigene Wählerschaft gar nicht mehr als sozialdemokratisch erkannt hat. Stichwort Agenda 2010.
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Da mache ich einen Unterschied. Bei der Agenda 2010 fehlte es eher an der vorhergehenden Kommunikation. Die Erleichterungen auf dem Steuersektor für Unternehmen sind hingegen â ich sagte es schon â von heute her gesehen zu hinterfragen.
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Sie meinen die Regelung, nach der Gewinne aus VeräuÃerungen von Anteilen einer Kapitalgesellschaft an einer anderen steuerfrei gestellt wurden. Das war eine grobe Bevorteilung der nicht arbeitenden Klasse.
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Ja, ich mach das auch nicht klein. Es gab einzelne Deregulierungen, über die man heute streiten muss.
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Leiharbeit ist nicht eine einzelne Deregulierung, das war eine kleine Revolution.
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Die Leiharbeit ist nicht von Schröder eingeführt worden.
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Nein, eingeführt hat er sie nicht. Aber dass die Leiharbeitsverhältnisse unbefristet wurden, hat die Regierung Schröder gemacht. Das hat das »moderne Sklaventum«, wie Kritiker aus Gewerkschaftskreisen sagen, erst befördert. Und die Regelung des ALG 2: Dadurch landete jemand, der gearbeitet hat, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf dem gleichen Status wie einer, der nicht gearbeitet hat, nämlich auf dem Niveau von Sozialhilfe.
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Die Sozialdemokraten haben daraus Folgerungen gezogen â¦
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Das sind keine Kleinigkeiten.
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Wer hat den Ausdruck »Kleinigkeiten« verwendet? Ich habe ihn nicht verwendet. Ich habe gesagt, dass es Dinge gibt,
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