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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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Fahrrad von Miesbach nach Rosenheim. Ich weiß nicht mehr, was der damalige Parteivorsitzende der SPD gesagt hat. Aber der Mann hat mich fasziniert. Im Ersten Weltkrieg den Arm verloren, als Folge von elf Jahren KZ den Unterschenkel amputiert. Und ein unglaubliches
Gesichtsprofil. Von ihm ging eine tiefe Glaubwürdigkeit aus. Die Art und Weise, wie er in jener Zeit immer wieder an den Besatzungsmächten Kritik übte, war beeindruckend. Und sein klares Nein zum Kommunismus war dann der letzte Anstoß, dass ich mich 1950 bei der SPD anmeldete. Damals lebte ich nicht mehr in Miesbach, sondern in München, im Arbeitervorort Freimann.
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    Also waren es Programm und Person, die Sie zur Sozialdemokratie brachten?
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    Ja. Geschichte, Programm und Person.
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    Haben diese drei Dinge gegen die CSU in Bayern gesprochen?
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    Ich will mich höflicher ausdrücken: Sie haben nicht in dem Maße für die Partei gesprochen, wie das bei der SPD der Fall war. CSU-Repräsentanten waren damals Alois Hundhammer, Hans Ehard und Dr. Josef Müller, genannt der »Ochsen-Sepp«, mein späterer Gegenkandidat bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl.
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    Und auf der Bundesebene gab es natürlich Adenauer.
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    Von dem war mein Bruder sehr beeindruckt. Aber Adenauers großer Weg begann eigentlich erst 1949, als erster Kanzler der Bundesrepublik, und meine eigene Meinungsbildung war zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich abgeschlossen. Als Präsident des Parlamentarischen Rats, der auf Geheiß der drei westlichen Besatzungsmächte eingerichtet worden war, ist er für mich nicht sehr in Erscheinung getreten. Man kannte seinen Namen, aber er war ja damals Unionsvorsitzender nur für die britische Besatzungszone. Auch war er im eigenen Lager nicht unumstritten. Karl Arnold, damals Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und andere waren nicht seine Gefolgsleute. Dennoch: Adenauer war ein großer Mann.
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    Brauchen Politiker Katastrophen und Krisen, um zu reagieren? Wenn eine Energiewende erst nach Fukushima, eine EU-Vertiefung, sollte es eine geben, erst nach den Finanzschulden und der Eurokrise kommt, wenn das Völkerrecht vielleicht erst nach den Aufständen im arabischen Raum wieder Geltung erlangt und der erste grüne Ministerpräsident
erst nach den Demonstrationen und Zusammenstößen im Zusammenhang mit dem Projekt »Stuttgart 21« gewählt wird – dann scheint man diesen Eindruck zu gewinnen.
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    Sie können doch nicht sagen, dass die Wende in der Energiepolitik erst nach Fukushima kam. Was da kam, war, wie schon besprochen, nur die Wende der Union und der FDP. Wir und die Grünen sind doch schon in den achtziger Jahren für die Wende eingetreten und haben sie 2001 verwirklicht.
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    Man könnte jetzt einwenden, dass auch die Ersten, die etwas ändern wollten, erst nach Tschernobyl aufgewacht sind.
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    Auch das ist so nicht richtig. Widerstand gab es längst vor Tschernobyl. Ein sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter, es war Professor Karl Bechert, hat sogar schon in den fünfziger Jahren vor der Kernenergie gewarnt. Und Erhard Eppler hat bereits 1979 einen Beschluss des baden-württembergischen Landesparteitags herbeigeführt, in dem der Ausstieg gefordert wurde. Dem war der schwere Störfall in Three Miles Island vorausgegangen.
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    Gut, dann haben Sie in diesem Punkt recht. Wie sieht es bei der EU-Vertiefung aus?
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    Jetzt muss ich Ihnen zustimmen. Es gibt Fälle, bei denen die Politik vorauseilt und entsprechend gestaltet, und es gibt Fälle, bei denen die Politik des Anstoßes bedarf. Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing haben keinen gebraucht, sondern haben aus ihrem Nachdenken heraus den Euro vorbereitet. Helmut Kohl hat dann eine Chance genutzt, nämlich die Zustimmung Deutschlands zum Euro als Gegenleistung für das Einverständnis zur Deutschen Einheit erscheinen zu lassen. In anderen Fällen benötigt Politik einen Anstoß, sie ist ja keine göttliche Einrichtung, sondern eine menschliche. Selbst im Privatleben brauchen Menschen manchmal einen Anstoß, bis sie Notwendiges und Richtiges tun. Doch ist in der Politik der Anstoß da und es geschieht trotzdem nichts oder das Verkehrte, so ist ernste Kritik am Platze. Im Übrigen: Es gibt auch Unvorhersehbares. Wer hat denn vorausgesehen, wie Gorbatschow als Generalsekretär agieren würde?

    Â 
    Egon Bahr erzählte mir

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