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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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fünfziger, sechziger Jahren hat sich das soziale und wirtschaftliche Gefälle tatsächlich noch nicht so sehr verstärkt, weshalb es in der Diskussion nur begrenzt eine Rolle spielte. Es gab ja einen allgemeinen Aufstieg. Denn nicht nur die, die schon oben waren, stiegen weiter auf, sondern auch die, die sich gesellschaftlich unten befanden, konnten
erkennbar höher kommen. In der Zeit, in der die Arbeitslosigkeit stieg – das begann in den späten siebziger Jahren –, vergrößerte sich die Kluft dann deutlich.
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    Als Helmut Schmidt Kanzler war, hatte er es mit einer weltweiten Wirtschaftsrezession und den Ölkrisen zu tun. 1982 hörte er auf, da kletterte die Zahl der Arbeitslosen zum ersten Mal in Richtung zwei Millionen. Ganz genau waren es 1,8 Millionen.
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    Das war, als er den berühmten Satz gesagt hat: »Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit!« Ende der neunziger Jahre erreichte die Arbeitslosigkeit dann einen Wert von 4,4 Prozent. Wobei die deutsche Einheit natürlich auch eine Rolle spielte.
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    Die Kluft von Arm und Reich zeigt sich aber nicht nur in der Zahl der Arbeitslosen …
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    Die Arbeitslosigkeit ist dabei ein wichtiger Faktor – und die provozierend hohen Einkommen von nicht wenigen Leuten nicht minder.
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    Wann hat diese Fehlentwicklung begonnen? An welcher Stelle haben unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr gegriffen?
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    Begonnen hat sie schon Ende der siebziger Jahre. Aber geradezu explodiert ist sie dann in der Zeit der Marktradikalität, in der nach weniger Staat geschrien und alles dem freien Spiel der Kräfte überantwortet wurde. Margaret Thatcher, die in den achtziger Jahren britische Premierministerin war, hat dazu einen substanziellen Anstoß gegeben. Ihre Politik, der Thatcherismus, hat auch anderswo Aufmerksamkeit gefunden.
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    Könnte man nicht sagen, dass ihr Vorgehen eine Reaktion auf den zunehmenden Druck durch die Globalisierung war? Man hätte gar nicht anders handeln können?
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    Da widerspreche ich. Die Deregulierungen haben die Marktradikalen gefordert – gerade ihres eigenen Vorteils wegen. Oft genug auch mit der Drohung, ihre Investitionen und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in regulierungsfreie Länder zu verlegen. Den
Preis dafür bezahlten wir mit der Krise, und wir zahlen ihn jetzt noch. Und sie hat ebenso bewirkt, dass sich die Kluft erweitert.
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    In den achtziger Jahren und bis weit in die Neunziger hinein gab es einen breiten Konsens in der Sozial- und Arbeitspolitik. Er wurde getragen von Menschen wie Norbert Blüm, den Sie vorher genannt haben und dessen Wertefundament ebenfalls ein klares christliches ist. Auf der Seite der SPD war da der Sozialexperte Rudolf Dreßler. Die beiden haben, was Arbeit und Soziales betraf, über mehr als ein Jahrzehnt mehr oder weniger gemeinsam gehandelt. Trotzdem ist die gesellschaftliche Kluft größer geworden. Was sagt das?
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    Manche verweisen auf die Probleme, die sich aus der deutschen Einheit ergeben haben. Die Rentenanpassung wird da ins Feld geführt. Aber die würde ich nicht als Element der Kluftvertiefung ansehen. Im Gegenteil. Es war allein die Marktradikalität, davon bin ich überzeugt. Den Unionsparteitag von 2003 in Leipzig darf man dabei ebenfalls nicht vergessen. Da wurden auch einige Beschlüsse in dieser Richtung gefasst.
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    Die wirtschaftlichen Reformen wurden nicht verwirklicht.
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    Aber sie wurden zunächst einmal beschlossen.
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    Gerhard Schröder war von dieser marktradikalen Richtung durchaus infiziert. Anders kann man doch vieles von dem, was er in der ersten Legislaturperiode gemacht hat – wir sagten es schon: Steuersenkung oder Befreiung der Besteuerung von Kapital –, nicht verstehen. Er hat mit zur Deregulierung beigetragen. Und ich erinnere mich, dass es damals schwierig war, außer Ottmar Schreiner Gesprächspartner in der SPD zu finden, die nicht Anhänger dieses Denkens waren.
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    Schauen wir einmal genauer hin: Ich bekunde Gerhard Schröder meinen Respekt für die Zeit als Bundeskanzler. Vorher hatten wir häufiger unterschiedliche, sogar gegensätzliche Meinungen. Aber für das, was er als Bundeskanzler insgesamt geleistet hat, erweise ich ihm meinen Respekt. Das schließt nicht aus, dass es einen gewissen Zeitabschnitt gab, der auch mich unruhig gemacht hat. In diesem wurde das

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