Wie wollen wir leben
Schröder-Blair-Papier entwickelt, ein Positionspapier für einen »Dritten Weg«, das von
»neoliberalen« Gedanken nicht frei war. Diesem Papier habe ich damals in einer Kolumne im Tagesspiegel ausdrücklich widersprochen, weil mir der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit verletzt erschien. In diesem Zusammenhang spielt jemand eine Rolle, der heute im Medienbereich groÃen Einfluss hat â nämlich Bodo Hombach.
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Ah, ja, Schröders Chef des Bundeskanzleramts.
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Ja, er agierte in dieser Richtung. Die SteuermaÃnahmen â das sagte ich schon â haben mir ebenfalls nicht gefallen. Aber die Sozialdemokraten haben daraus gelernt und diesen Weg nicht fortgesetzt.
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Konnten sie auch nicht, weil sie nicht mehr regiert haben.
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Bis 2009 hätten sie in der GroÃen Koalition doch das eine oder andere noch fortsetzen können. Das wäre durchaus möglich gewesen.
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Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich weite Kreise diesem Zeitgeist anschlossen, sogar Sozialdemokraten, die eigentlich ein völlig anderes Wertefundament vertreten sollten?
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Die Wahrnehmung von Politikern wie Margaret Thatcher oder Tony Blair, dem Labour-Premier, hat in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt. Bei Blair kamen die hervorragenden Wahlergebnisse hinzu, die er wiederholt erzielte.
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Wenn sich eine Gesellschaft insgesamt nach ökonomischen Kriterien ausrichtet â ist das eine Folge des Wohlstands?
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Ja, das hat mit dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts zu tun. Aber es gab immer warnende Stimmen, etwa von den Gewerkschaften. DreÃler war nicht der Einzige, der den Finger gehoben hat. Ottmar Schreiner von der Parlamentarischen Linken der SPD nannten Sie schon. Aber insgesamt ist es wahr, es war eine weltweite Tendenz. Voran die Vereinigten Staaten, danach folgte England.
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War es die Gier? Oder was war die Ursache?
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Dass das ganze deutsche Volk plötzlich von der Gier befallen wurde und deshalb marktradikale Tendenzen guthieÃ, das glaube ich nicht. Es ist aber auch nicht eine Frage an das gesamte Volk, sondern vor allen Dingen an die, die den Ton angeben und die Einfluss besitzen, die in wirtschaftlichen Bereichen etwas zu sagen haben.
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Letztlich haben vor allem diejenigen von den Deregulierungen profitiert, die sie selbst gefordert haben.
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Ja, im Wesentlichen.
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Wenn Sie das Gefälle zwischen Arm und Reich als das gröÃte Problem unserer heutigen Gesellschaft ansehen und wenn sich dieses auch nicht positiv verändern wird, welche Auswirkung hätte das auf den gemeinschaftlichen Zusammenhalt? Revolutionen würde es in unserem Land vermutlich nicht geben?
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Da hoffe ich doch sehr, dass in unserem Land keine Politik gemacht wird, die Revolutionen hervorruft.
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Was aber wird passieren, wenn sich dieser Zustand nicht ändert?
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Das wird eine ganze Reihe von Folgen haben. Die Gesellschaft wird viel stärker zerrissen sein, es wird starke Separierungen geben, mehr soziale Brennpunkte. Ansätze dazu haben wir ja schon.
Es gibt da eine interessante Untersuchung über Lebensqualität aus dem Jahr 2010 von zwei britischen Forschern â Kate Pickett und Richard Wilkinson. In dieser umfassenden Studie wurde untersucht, wie sich die gesellschaftliche Ungleichheit in einundzwanzig Industrieländern auf soziale und auf gesundheitliche Verhältnisse auswirkt. Die beiden Wissenschaftler haben unter anderem Folgendes herausgefunden: Wenn die gesellschaftliche Ungleichheit ein gewisses Maà übersteigt, ist die Zahl der Morde und gewalttätigen Auseinandersetzungen deutlich höher als in einer Gesellschaft, die ein Mindestmaà von Gleichheit bewahrt. Und wissen Sie: Auch das Gemeinschaftsgefühl, das Gefühl, dass man füreinander verantwortlich ist, das nimmt bei einem Ãbermaà an sozialem Gefälle Schaden. Ungleichheit zersetzt Gesellschaften,
das ist das Fazit der zwei Wissenschaftler. Das bedeutet aber nicht, dass ich für Gleichmacherei bin. Verminderung der Kluft ist nicht Gleichmacherei.
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Das wäre meine nächste Frage gewesen: Sind Sie für Gleichmacherei?
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Nein. Daran kann auch diese englische Untersuchung nichts ändern. Aber ich bin dafür, dass die Kluft verringert wird. Sie wird sich nie völlig schlieÃen, aber man kann etwas dafür tun, dass sie reduziert wird und nicht weiter wächst. Habermas geht ja so weit, dass er sagt, es
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