Wie wollen wir leben
für sie ein wichtiges Kriterium für ihre Zufriedenheit. Aus diesen Ergebnissen, die ich jetzt nicht verabsolutieren will, lassen sich bestimmte Schwerpunkte ableiten. Zum Beispiel, wie sich die Sicherheit, die Bildungsteilhabe, die Lebenszufriedenheit entwickeln könnten. Sicher, das Bruttosozialprodukt wird man weiterhin im Auge behalten. Aber für die Beurteilung des Wohlergehens der Menschen wird es weniger ausschlaggebend sein.
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Umfragen stellen nur punktuell etwas fest, das Bruttosozialprodukt hat jedoch den Vorteil, dass es eine klare Messlatte ist.
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Es lässt sich aber ebenfalls die Zahl der Gewalttaten feststellen, die Zahl der Arbeitslosen, die Zahl derer, die aus welchen Gründen auch immer unter dem Mindestlohn leben. Es lässt sich feststellen, wie viele obdachlos sind und deswegen betreut werden müssen. Es lässt sich feststellen, wie viele pflegebedürftig sind und wie es ihnen ergeht. Anwendbare Kriterien existieren also durchaus schon auÃerhalb des Bruttosozialprodukts.
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Jetzt packe ich drei von den Kriterien, die Sie genannt haben, zusammen und sage: »Der Deutsche sehnt sich nach einer 35-Stunden-Woche in einem Beruf, den er sicher hat und der ihm Spaà macht.«
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Ja, und? Das wäre auch ein Kriterium.
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Lässt es sich unter den Bedingungen der Globalisierung aber realisieren?
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Es lässt sich anstreben, davon bin ich überzeugt. Und nochmals: Nächstenliebe ist das eine, aber wenn es 80 Prozent der Menschen auf der Erde besser geht als vorher, wenn viele ihr Elend hinter sich lassen, dann ist das doch auch für uns etwas Gutes. Und ich muss es wiederholen: Die europäische Entwicklung, die
ja zu einer solchen Angleichung geführt hat und weiter führen soll, hat mit bewirkt, dass wir im heutigen Bereich der Europäischen Union seit sechzig Jahren keinen Krieg mehr haben. Es ist nicht so, dass Frieden selbstverständlich ist. Sie reden hier mit einem Menschen aus einer Generation, für die der Krieg selbstverständlich war.
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Dieses Mal hauen Sie sogar mit der Faust auf die Stuhllehne ⦠Trotz aller neuen Lebensqualität bleibt die Arbeitswelt wichtig. Und diese entwickelt sich nicht gerade in Richtung groÃer Wohlfühlfaktor und Zufriedenheit. Es ist feststellbar, dass junge Menschen in hoher Zahl in befristeten Verhältnissen arbeiten und mit niedrigerem Lohn leben müssen. Man könnte noch die wachsende Zahl derer hinzuzählen, die in der Arbeitswelt krank werden, unter psychischen Belastungen zu leiden haben. Das alles sind Entwicklungen, die wir im Moment gerade erleben.
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Völlig tatenlos bleibt die Politik da ja nicht. Für das Problem der befristeten Arbeitsverträge existieren zum Beispiel ganz konkrete Vorschläge. Es soll aber auch Arbeitnehmer geben, die mit ihrem Arbeitsplatz sehr zufrieden sind, die von den Fortbildungsmöglichkeiten während des Anstellungsverhältnisses Gebrauch machen. Zudem bin ich der Ansicht, dass hier nicht nur der Staat, sondern ebenso die Gewerkschaften gefordert sind. Sie engagieren sich auf diesen Gebieten, aber ihr Gewicht hängt davon ab, dass man ihnen nicht erst beitritt, wenn man Streikgeld braucht. Das sagt einer, der seit achtundfünfzig Jahren Gewerkschaftsmitglied ist.
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Die Gewerkschaften sind in den letzten Jahren schwächer geworden. Glauben Sie an deren Wiedererstarken?
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Ja. Die IG Metall konnte 2011 erfreuliche Zahlen über Neubeitritte melden. Ich selbst war in der ÃTV, der Gewerkschaft für Ãffentliche Dienste, Transport und Verkehr, jetzt ver.di genannt, da ist es immer noch etwas schwieriger. Es werden aber auch dort konkrete Anstrengungen unternommen. Ohne die Gewerkschaften hätte man jedenfalls die recht beachtlichen Lohnerhöhungen nach der Finanzkrise nicht erreicht. Oder wie sehen Sie das?
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Gar keine Frage. Nur: Wie viele Menschen profitieren von diesen Lohnerhöhungen?
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Alle, für die Tarifverträge gelten.
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Viele Menschen werden mittlerweile auÃertariflich bezahlt.
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Was schlagen Sie denn vor, um das zu verhindern?
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Halt! Ich bin hier nicht diejenige, die antwortet. Ich stelle die Fragen. Und meine Frage an Sie lautet: Wie kann man den Arbeitsmarkt, der sich in einer Abwärtsspirale befindet, wieder in den Griff bekommen?
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Es gibt durchaus Vorstellungen, wie man das Anwachsen der befristeten und kurzfristigen
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