Wie wollen wir leben
Religionsfreiheit. Nirgends steht aber in der Verfassung, dass die Religionsfreiheit davon abhängt, dass sie in den Herkunftsländern der jetzt bei uns lebenden Migranten und Andersgläubigen ebenfalls gewährt wird. Das sind politische Forderungen, die man erheben kann und auch sollte. Mit der Verfassung und der Rechtslage in unserer Republik hat das aber nichts zu tun. Für die Behauptung, dass wir uns islamisieren, dass der Islam in Deutschland missionarisch tätig ist, bräuchte ich zunächst einmal Fakten. Wie groà ist denn die Zahl derer, die zum Islam übertreten? Wenn man das hört, was die Islamisierungs-Befürchter sagen, könnte man meinen, Millionen von Deutschen treten zum Islam über. Davon kann doch aber überhaupt nicht die Rede sein. Es konvertieren auch umgekehrt Leute vom Islam zur christlichen Religion. In meinen Augen wird das alles zu sehr aufgebauscht.
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Und wie gehen Sie mit dem demografischen Argument um, dass Muslime mehr Kinder bekommen?
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Dass die Zahl der Kinder in islamischen Familien gröÃer ist als in Familien deutscher Herkunft, das haben wir schon besprochen. Aber ist das dem Islam vorzuwerfen? Ist die Tatsache, dass man Kinder bekommt, ein Grund, um Vorwürfe zu erheben? Ich freue mich eigentlich über jedes Kind. Und somit klingt es äuÃerst merkwürdig, wenn man sagt, ein islamisches Kind wäre eine Gefahr.
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Wir sind schwächer als der Islam, sagen viele.
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Aha. Und weil wir schwächer sind, greifen wir jetzt die anderen an?
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Haben Sie das Gefühl, dass gläubige Menschen untereinander toleranter sind also solche, die keinen Gottesbezug mehr haben? Mein Eindruck ist, dass praktizierende Christen mehr Verständnis für die Muslime in Deutschland haben als die, die vom Glauben abgefallen sind.
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Im Ergebnis stimme ich Ihnen zu. Wer sein Christentum ernst nimmt, wird sich so verhalten, wie Sie es gerade geschildert haben.
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Der hat zum Beispiel weniger Verständnis für die Mohammed-Karikaturen ?
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Ja, auch das. Diese Art von Karikaturen hat mir überhaupt nicht gefallen. Als ich sie sah, stellte ich mir vor, wie Christen reagieren würden, wäre Jesus Gegenstand derartiger Zeichnungen. Aber das liegt immer noch im Bereich der freien MeinungsäuÃerung. Es ist eher die Frage, ob man es tun soll, nicht die, ob man es tun darf. Und noch einmal zum Gottesbezug: Hierbei ist ebenso entscheidend, wie man sich Gott vorstellt. Wenn man sich Gott als einen strafenden, rächenden Gott denkt, der andere bekämpft, so wie es ja im Alten Testament durchaus Stellen gibt, die einen solchen Gott schildern, dann ist die Wirkung eine andere, als wenn man die heutige christliche Gottesvorstellung zugrunde legt, bei der Barmherzigkeit und die Liebe Gottes stärker in den Vordergrund rücken als sein strafender, sein drohender Charakter. Ein so verstandener Gott ist Ansatz zu einem besseren Verständnis der Menschen untereinander.
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Aber kann sich eine Nation wie Deutschland erlauben, dass so viele Menschen sich so viel anders definieren, dass sie nicht nur anderen Glaubens-, sondern auch anderen Lebensregeln folgen? Sind nicht Parallelgesellschaften eine Bedrohung für die Gemeinschaft?
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Wo ist denn die Handhabe, dies zu verbieten? Worauf will man sich stützen? AuÃerdem: Sind andere Glaubens- und Lebensregeln derzeit wirklich eine Gefahr für unsere Grundordnung?
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Das ist die Frage. Halten Sie es für eine Gefahr, wenn es innerhalb der Republik Gesellschaften gibt, die nicht mehr erkennbar mit deutschen Lebensritualen, deutschen Glaubensritualen und deutschen kulturellen Hintergründen zu tun haben?
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Gibt es denn diese Parallelgesellschaften? Es wird bei dieser Diskussion immer auf Berlin-Neukölln verwiesen. Und dort stimmt es wohl auch. Aber kann man wirklich sagen, dass sich quer durch die ganze Republik solche Parallelgesellschaften gebildet haben?
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Ich habe nicht den Eindruck. In den USA existieren derartige Parallelgesellschaften, und ich halte das nicht für das Optimum. Für Deutschland würde ich mir wünschen, dass wir insgesamt eine Gemeinschaft bilden. Aber ich schlieÃe dabei nicht aus, dass die Muslime in einer solchen Gemeinschaft unter den Regeln des Grundgesetzes ihren Platz finden.
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Was sind die Mindestanforderungen für Menschen, die nach Deutschland kommen und hier leben wollen?
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Erstens
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