Wiedergaenger
Stampfen und Brüllen lässt Fritzi keine Ruhe,
sie sehen sich im Recht, die sturen Biester, es ist längst Zeit
für den Austrieb. Harter Frost steht nicht an, die
Frühjahrsstürme sind auch vorbei, doch Fritzi gefällt
der Tag nicht, und sie lässt sich nicht hetzen, schon gar nicht
von der Ungeduld des Milchviehs. Sie will warten, bis der Enkel
zurück ist. Er soll zuvor die Zäune überprüfen.
Ãœberdies sieht der Junge es nicht gern, wenn Fritzi sich als
alte Frau mutterseelenallein mit den Kühen abmüht. Denn
Kühe sind nicht ungefährlich, erst recht nicht die der
isländischen Rasse, und um diese Jahreszeit können sie, wie
die meisten Lebewesen, besonders drollig werden. Genau deshalb setzen
sie ihren Willen aber auch diesmal durch: Mittags hat Fritzi das
aufständische Muhen satt und öffnet die Stallpforten, wird
zum Dank sogleich über den Haufen gerannt, dass ihre Hüftknochen
krachen wie vertrocknetesAstwerk.
»Ihr Bestien.Auf euch wartet der Abdecker.« Fritzi
sitzt im Mist und droht mit der Faust. Beim Aufstehen ein stechender
Schmerz links. Die Kühe, auch nicht mehr die Jüngsten,
kümmert das nicht, sie galoppieren steif über die
Hauswiese, saugen mit aufgeblähten Nüstern die Würze
des sonnigen Tages ein. In ihrer Freude wagt die Schlankere sogar
einen kleinen Luftsprung, alle viere heben ab und kommen ungelenk
wieder auf. Die Kuh strauchelt und hebt vor Schreck den Schweif, um
Wasser zu lassen, die Augen staunend geweitet. Hat man so was schon
gesehen? Ein Rindvieh,das frei sein will wie ein Vogel. Fritzi lacht.
Ihre Fröhlichkeit verfliegt so rasch, wie sie gekommen ist,
als sie die Zäune von Ferne selbst inAugenschein nimmt. Viel
morsches Holz. Da müsste dringend etwas passieren. Ob sie den
Nachbarn anrufen soll? Kein Lebenszeichen vom Enkel. Wer weiß,
wann sie einander wiedersehen? Bjarney könnte das wissen, falls
sie ihre Elfen dazu befragt hat. Was noch lange nicht heißt,
dass sie bereit wäre,Auskunft zu erteilen.
Als wäre sie wieder einmal in den Gedanken ihrer Freundin
umherspaziert wie in einem öffentlichen Park, gibt Bjarney sich
am Nachmittag auf Bjarg die Ehre. Zu Ross,Autos sind ihr ein Gräuel,
in leichtem Trab und an ihrer schlohweißen Haarpracht weithin
zu erkennen. »Glück und Segen.«
Fritzi brummt eine Antwort, ohne von der Gartenarbeit aufzusehen.
Hinter dem Haus gibt es eine windgeschützte und von der Sonne
begünstigte Stelle.Dort hat sie inmitten von Lava und Geröll
ein Gemüsebeet angelegt: Bohnen, Mohrrüben, Kartoffeln, ein
paar Kräuter. Die Ernte ist meist klein, das Gemüse mickrig
im Wuchs, aber geschmacklich überzeugend.
»Immer fleißig, die deutsche Hausfrau«, spottet
Bjarney. »Ich frage mich, ob ich bei dir wohl einen Kaffee
bekommen kann.«
»Hast du jemals keinen Kaffee bei mir bekommen?«
Fritzi rappelt sich hoch, eine Hand auf die linke Hüfte
gepresst, die ihr seit dem Sturz am Mittag Schwierigkeiten bereitet.
Bjarney hüpft aus dem Sattel und entlässt den Fuchs mit
einem Klaps auf den Hintern zum Grasen.
»Heute ist wohl jedem außer mir zum Springen zumute«,
sagt Fritzi.
»Warum machst du es nicht wie ich? Entscheide dich an so
einem schönen Tag nicht für die grimmige Alte in dir,
sondern für das freche Mädchen mit Flausen im Kopf.«
»Ich war nie frech als Mädchen. Das konnte ich mir gar
nicht erlauben. Wenn es eine Zeit gibt, in die ich mich nicht
zurücksehne, dann meine Kindheit. Nicht, dass die Jahre danach
so viel besser gewesen wären.«
»Na, so schlimm war dieses eine deiner vielen Leben doch
wohl nicht, Fritzi. Was wir beide allein für Spaß zusammen
hatten, das kannst du nicht vergessen haben.« Bjarney pflückt
eine Butterblume und steckt sie der Freundin ins Knopfloch ihrer
Strickjacke. »Wenn dir die Vergangenheit nicht schmeckt, nasche
eben von der Zukunft.«
Fritzi wird es zu bunt. Sie will keine Blume im Knopfloch, und auf
Bjarneys Verrücktheiten hat sie schon gar keine Lust. Immerhin:
Das Verlangen, Bjarney zu schubsen, ist mühelos unter Kontrolle
zu bringen, wenigstens ein Vorteil desAlterns.Früher hätte
sie geschubst. Stattdessen nimmt sie die Blüte und zerdrückt
sie zwischen den Fingern. »Wir haben keine Zukunft, Bjarney. Du
nicht und ich nicht. Weil wir Greise sind. Sieh uns an, wie wir
verwelken, das ist nun
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