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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Nummer.
    Den Mann zieht es zum Fluss, er wirft sich die Böschung
hinunter. Liv hört, wie die Blätter des Buschwerks gegen
seine Kleidung klatschen, bevor sie selbst die Kante erreicht, wo sie
zögert und ihn unten über die Bahngleise stolpern sieht.
Ãœberrascht registriert sie, dass die Nacht heller geworden ist,
zwischen schwarzen Wolken hat sich der Halbmond einen Platz erobert,
rötlich und nah, die Trave reflektiert seinen
Schein.Aufgeputscht durch das bisschen Licht, setzt sie die
Verfolgung fort.
    Der Uferweg mit seinem gelben Kies ist ein leuchtendes Band, wie
zum Rennen gemacht. Ich habe keine Angst, denkt Liv und wundert sich
zugleich über das Rauschen in ihren Ohren, so laut, dass die
Schritte, seine und ihre, kaum noch zu hören sind. Plötzlich
vollführt der Verfolgte eine schwungvolle Bewegung mit dem
rechten Arm, ein Gegenstand fliegt durch die Luft, schlägt vor
ihr auf dem Boden auf, und noch bevor Liv ihn erreicht, weiß
sie, dass es ihr Handy ist. Ungläubig starrt sie ihm nach: Das
war's, er hat kapituliert. Sie istdie Siegerin.
    Keuchend, die Hand in die Seite gepresst, bleibt Liv stehen und
hebt das Telefon auf. Es ist eingeschaltet, und von Kratzern auf dem
Display abgesehen, scheint es in Ordnung zu sein. Erst jetzt bemerkt
sie den Schmerz zwischen ihren Rippen. Wie Messerstiche. Lange hätte
sie nicht mehr durchgehalten.
    Sie will gerade zurück zum Auto gehen, als sie bemerkt, dass
der Dieb sich immer noch in der Nähe aufhält. In sicherer
Entfernung ist er stehen geblieben und beobachtet Liv, das spürt
sie genau, obgleich sie sein Gesicht nicht sehen kann. Er scheint mit
ihr zu spielen. Liv fragt sich, was das soll. Irgendetwas hält
sie davon ab, die Sache zu beenden. Sie versucht, eine selbstbewusste
Haltung einzunehmen, und geht langsam auf ihn zu, überzeugt, er
würde daraufhin endgültig die Flucht ergreifen und sie
würde es dabei bewenden lassen. Doch er tut ihr nicht den
Gefallen. Stattdessen dreht erden Spieß um. Die Art, wie er los
rennt, diesmal in ihre Richtung, lässt keinen Zweifel an seinem
Vorhaben: Wenn er sie kriegt, ist es kein Spiel mehr, er wird sie
ganz bestimmt umbringen, sie und schlimmstenfalls auch Aaron, der
immer noch im Auto wartet, wahrscheinlich völlig von der Rolle,
weil er nicht weiß, wo sie bleibt.Also wieder laufen, aber
jetzt fällt es ihr schwer, weil alles wehtut, die Füße,
die Lungen, der Unterleib. Ihr Magen rumort. Sie hat noch kein
Abendbrot gegessen.An der Böschung angelangt, muss sie sich an
den Ästen der Büsche hochziehen.
    Als Liv das Auto erreicht, ist es leer, das Radio läuft, der
Schlüssel steckt. Sie haut auf die Hupe und schreit nach ihrem
Kind.Sekunden, die ihr wie eine Ewigkeit vorkommen. Dann taucht Aaron
auf der Beifahrerseite auf, und sie herrscht ihn an, er solle
einsteigen. Der Motor lässt sich auch mit zittrigen Händen
ohne Probleme starten. Beim Beschleunigen ein Blick in den
Rückspiegel: Die Straße ist menschenleer und sieht im
fahlen Mondlicht so schläfrig aus, als hätte sie die ganze
wilde Jagd nur geträumt.
    Sie bekommt keinen Bissen hinunter. Liv hatte gedacht, es wäre
eine gute Idee, zu McDonald's zu fahren, um sich zu beruhigen und das
flaue Gefühl in ihrem Magen mit einem Cheeseburger zu betäuben.
Jetzt lässt schon der Geruch von gegrilltem Hackfleisch Übelkeit
in ihr aufsteigen. Sie trinkt ihre Apfelschorle in einem Zug.
    Aaron, der schweigend neben ihr sitzt, ist anscheinend ebenso
verstört wie sie, denn auch er lässt seine Pommes
unangetastet kalt werden.Auf der Fahrt hat sie ihn angeschnauzt, weil
er nicht wie befohlen im Auto gewartet hatte. Jetzt tut es ihr leid.
    Â»Da war so ein Typ auf dem Gelände, der hat mein Handy
geklaut.«
    Â»Hab ich gesehen.«
    Â»Hast du sein Gesicht erkannt?«
    Kopfschütteln.
    Â»Ich hab's mir zurückgeholt, mein Handy«, erklärt
Liv nicht ohne Stolz, und er starrt sie an, als ob er sie für
die letzte Idiotin hält.
    Â»Das Scheißteil«, sagt er und schüttelt
erneut den Kopf. »Der hätte dich abstechen können.«
»Hat er aber nicht.«
    Â»Dein Glück.« Er dreht demonstrativ den Kopf zur
Seite, um ihr zu zeigen, dass ihm das Ganze egal ist.
    Er hat recht, Liv weiß das. Ein komisches Gefühl, wenn
der eigene Sohn vernünftiger ist als man selbst. Sie würde
ihm gern erklären, warum das Telefon

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