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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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was
sie im Krieg erlebt haben und vergessen wollten. Außerdem haben
viele bei ihrer Einwanderung gelogen, das ist ihnen sicher unangenehm
gewesen, rechtschaffen, wie die meisten nun mal waren.«
    Â»Inwiefern gelogen?«
    Â»Sie hatten in ihren Bewerbungen angegeben, von Bauernhöfen
zu stammen, Erfahrung in der Landwirtschaft mitzubringen.Auf die
meisten traf das nicht zu. Sie wollten einfach nur weg.«
    Â»Kamen die dann mit dem Landleben zurecht?« »Viele
von ihnen ja.«
    Liv versucht es sich vorzustellen: trister Alltag mit Rindern und
Schafen, Gestank, harte körperliche Arbeit, dazu eine fremde
Sprache, Einsamkeit, Kälte. Das Leugnen der eigenen Identität.
Hat das den Neuanfang für diese Frauen erschwert oder
erleichtert? Neuanfang – gibt es so etwas überhaupt? Wo
doch fast jeder so viel Ballast mit sich herumschleppt, streng
genommen ist man ja nicht mal bei der Geburt wirklich neu, sondern
bloß ein frischer Aufguss alter Genplörre, sonst würden
einem die Eigenarten nicht schon in die Wiege gelegt. Wäre es
möglich, die Vergangenheit abzuschütteln, hätte Tönges
kaum alle Jahre wieder Zeichnungen von Inga angefertigt. Der Gedanke
daran deprimiert Liv. Wie einsam er gewesen sein muss. Wie einsam sie
war, bevor Aaron in ihrem Leben auftauchte.
    Â»Du siehst ein wenig mitgenommen aus«, stellt Ragnar
fest.
    Er bietet ihr Wasser an. Sie trinkt nacheinander drei Gläser
leer, und es schmeckt außergewöhnlich frisch, nicht nur
weil sie verkatert ist und einen Geschmack im Mund hat, als würde
etwas in ihr verrotten.
    Â»Hast du Passagierlisten von dieser Esja, mit der die Frauen
eingereist sind?«, fragt sie anschließend.
    Â»Nein. Außerdem kamen nicht alle auf der Esja, manche
wurden auch auf Fischtrawlern hergebracht. Darüber gibt es keine
Aufzeichnungen. Die Isländer sind keine sonderlich fleißigen
Bürokraten, weißt du. «
    Â»Sympathisch. Bloß schlecht für mich. Was meinst
du, wie ich Inga finden kann?«
    Ragnar kratzt sich am Hals. »Dummerweise ist Inga in Island
ein sehr beliebter Name. Ich werde mich mal umhören. Einige der
alten Damen aus Deutschland sind ganz gut auf mich zu sprechen. Mit
etwas Glück sind sie bereit, sich mit dir zu unterhalten, wenn
ich ihnen erzähle, worum es geht. Denen könntest du deine
Bilder zeigen.«
    Â»Das wäre nett. Du könntest ja auch deine Elfen
befragen«, sagt Liv und meint es scherzhaft, aber seinem
Gesicht ist zu entnehmen, dass sich Ragnar diese Art von Humor
keineswegs auf Anhieb erschließt.
    Â»Das könnte ich machen«, sagt er. »Natürlich
nur, wenn du einverstanden bist.«
    Was für ein Spinner. Liv erspart ihnen beiden eine Antwort.
    Er verwechselt ihr Schweigen augenscheinlich mit Neugier. »Weißt
du, wie die Elfenwelt entstanden ist?«, fragt er. »Keine
Ahnung.«
    Ragnar lehnt sich im Stuhl zurück und verschränkt die
Hände hinter dem Kopf. »Als Gott einmal seinen Besuch bei
Adam und Eva ankündigte, putzten sie ihre Kinder heraus, um ihm
zu gefallen. Weil er aber sehr früh eintraf, wurden sie nicht
fertig und versuchten, die noch ungewaschenen Kinder vor dem
Allmächtigen zu verbergen. Was natürlich schiefging. Zur
Strafe sorgte Gott dafür, dass sie fortan die dreckigen Kinder
nicht mehr sehen konnten, und diese wurden die schönsten,
reinsten und glücklichsten Kinder überhaupt. Seitdem leben
sie und ihre Nachfahren in Ruhe und Frieden in einer geheimen
Welt.Adam und Eva mussten sich unterdessen mit Kain und Abel
herumschlagen – wir wissen beide, wie das endete.«
    Nicht die schlechteste Geschichte, findet Liv. Auf unterhaltsame
Weise gaga.
    Â»Und du kannst sie sehen, die Elfen?« »Ja.«
    Â»Wann hast du zuletzt eine gesehen?«
    Schulterzucken. »Gegenfrage: Wann hast du zuletzt einen
Vogel gesehen?«
    Sie hat es doch gewusst: Elfenfreaks und Ornithologen gehören
zum selben Schlag. Liv überlegt. »Kann ich dir nicht
sagen.«
    Â»Siehst du. So geht es mir mit den Elfen. Ihre Anwesenheit
ist für mich etwas Normales, ich zähle sie nicht.«
»Okay«, sagt Liv gedehnt.
    Ragnar quält sich ein Lächeln ab. In seinem Mund blitzt
das Zungenpiercing. »Du hältst mich für verrückt?
Glaubst du ernsthaft, deine Umgebung, so wie du sie wahrnimmst, ist
realer als meine?«
    Hinter ihrer Sonnenbrille rollt Liv die Augen.

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