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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Garten hinausbefördert,
was eigentlich tabu ist ohne Aufsicht und Schleppleine, denn Herr
Konradi ist eine Jägernatur. Wenn er eine Katze sieht, ist ihm
kein Zaun zu hoch. Vermutlich ist der Kater der Nachbarin der Grund,
dass er auf die Straße rennt – vor den Lieferwagen einer
Bäckerei. Sie hat noch den Schriftzug vor Augen.
    Als die Bilder verschwinden und die Wolkenfront sich in das
zurückverwandelt, was sie ist, nämlich die Zutat eines
Wetterwechsels und nicht mehr, findet Liv sich gegen eine Hauswand
gelehnt. Ihr ist übel, der Rauputz in ihrem Rücken fühlt
sich erstaunlich warm an, als sei das Haus, das sie stützt, ein
lebendiges Wesen. Menschen gehen vorüber, Zeit verstreicht.
Wieder mal ein Blick auf die Armbanduhr, aus Ratlosigkeit. Fast zwei.
Da sie nicht weiß, wie spät es war, bevor diese
merkwürdige Sache passiert ist, bedeutet Liv diese Information
im Grunde nichts, ruft ihr aber die Verabredung mit Rúnar ins
Gedächtnis. Zum Lunch. Sie wird sich wohl etwas verspäten.
    Damit sie den Mut findet, sich von der Wand zu lösen, tasten
Livs Augen noch einmal den Himmel ab. Die schwarze Wolke hat jetzt
beinahe die Oberhand gewonnen, davor Möwenschwärme in
gestochener Schärfe, die weißen Gefieder reflektieren die
letzten Strahlen der Sonne.
    Â»Ich habe Vögel gesehen, Ragnar«, murmelt sie.
    Und noch einiges mehr. Ist es möglich, dass dieser verrückte
Elfenkundler mit seinen esoterischen Anwandlungen sie nachhaltig
durcheinandergebracht hat? Oder ist etwa immer noch der Wodka schuld?
Die Helligkeit? Dieses eigenartige Land? Was es auch ist, Liv erkennt
sich selbst kaum wieder. Wenigstens wirkt die kalte Luft belebend,
und die Ãœbelkeit verfliegt bereits nach wenigen Schritten.
    Das Kaffi Sólon ist leicht wiederzufinden, dort, wo die
Einkaufsmeile Laugavegur in die Bankastræti mündet,
gegenüber geht es hoch zur Hallgrimskirche. Tagsüber ist
die Bar mit den hohen dunklen Wänden ein Bistro, gut besucht,
aber nicht annähernd so vollgestopft mit Menschen wie in der
Nacht zuvor, als sie und Rúnar sich hier am Wein und
aneinander beduselten.
    Er erwartet sie bereits, in das Studium einer Partitur vertieft.
Dass er wieder denselben Tisch im hinteren Teil des Lokals gewählt
hat, irritiert Liv anfangs. Er steht auf und rückt ihr den Stuhl
zurecht, Wangenküsse zur Begrüßung, das Kratzen
seiner Bartstoppeln. Beim Hinsetzen stößt sie sich am
Tischbein wie schon mehrfach im nächtlichen Durcheinander, immer
dieselbe schmerzempfindliche Stelle an der linken Kniescheibe. Es
muss am Mobiliar liegen. »Alles klar mit dir?«, fragt
Rúnar.
    Liv nickt und reibt sich das Knie. Verstohlene Spurensuche: Nein,
die Tischplatte klebt nicht mehr, alles blankpoliert. »Willst
du etwas essen?« Erneutes Nicken.
    Er räumt die Noten weg und schlägt die Speisekarte für
sie auf. Sie bestellen Lachs-Canapes, seine Wahl, und auf ihren
Wunsch Lasagne, dazu Wasser.
    Sie überlegt, wie es mit ihnen weitergehen könnte.
    Rúnar fragt sich das offenbar auch: »Und?«
    Woher soll sie die Antwort wissen? Gestern war gestern. Heute ist
ein neuer Tag am selben Ort mit denselben Protagonisten. Liv kann nur
für sich sprechen: Sie will ihn immer noch.
    Er will eine Antwort,und er sieht nicht aus wie jemand, der gern
wartet.
    Â»Was soll ich sagen? Keine Ahnung. Sag du es mir.«
»Bitte?« Er legt den Kopf schief. »Was genau willst
du wissen?« »Wie es auf dem Amt war.«
    Liv merkt, wie sie rot wird. Was ist nur in sie gefahren? Sie
benimmt sich wie ein Teenager. Oder besser: so wie sie sich als
funktionsfähiger Teenager hätte benehmen sollen, aber
damals legte sie ja viel zu viel Wert darauf, cool zu sein und etwas
von der Welt zu sehen.
    Â»Liv?«
    Â»Ja ... alles okay. Also, nicht okay. Der Beamte konnte mir
überhaupt nicht weiterhelfen.«
    Sie hat Mühe, ihm in die Augen zu sehen. Draußen auf
der Laugavegur graue und schwarze Geländewagen im Schneetreiben,
Stoßstange an Stoßstange.
    Rúnar ergreift ihre hellen Hände mit den
Sommersprossen und reibt sie zwischen seinen dunklen.
    Â»Kalt«, sagt er. » Bist du lange durch den
Schnee gelaufen? Dein Haar ist nass.«
    Sie zuckt mit den Schultern. Wieder durchfährt sie dieses
eigenartige Gefühl, als würde seine Haut Bestandteil ihrer
eigenen sein, als könnte sie mühelos seine

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