Wiedergaenger
Grad.
»Lust auf eine Fahrt ins Blaue?«
Na, der traut sich was. Was soll der Quatsch? Liv bleibt stehen,
formt die Frage mit den Lippen, ohne sie auszusprechen. »Wir
sind doch nicht im Streit auseinander.«
»Nicht?«
»Nicht von mir aus. Die Sache mit uns war nicht das
Schlechteste. Wir hatten es doch schön. Lass uns irgendeinen
versöhnlichen Abschluss finden. Bitte.«
Wieder diese Magenschmerzen. Das Problem: Jede Faser ihres Körpers
will an seiner Seite sein.Am liebsten Tag und Nacht. Ein Sehnen,
stärker als jedes Gespür für den Erhalt der eigenen
Würde. Selbst seine Hand nur durch den Ärmel zu fühlen
ist besser, als eine ganze Nacht mit Max zu verbringen. Es hat etwas
mit seiner und ihrer Haut zu tun: die ideale Reibung oder so. Sie ist
süchtig nach seiner Haut.
Keine fünf Minuten später sitzt sie wieder in seinem
Jeep, als Beifahrerin diesmal, und sie nehmen Kurs auf die
Stadtgrenze.
Nicht nur die Lebenden wollen Fritzi aus ihrem Haus
vertreiben.Auch die Wiedergänger haben genug von ihr, das lässt
sich nicht länger leugnen: Der Braune, die toten Babys in der
Lava, verschollene Matrosen, deren Schiffe an den nahen Klippen von
KrýsuvÃk zerschellt sind, weil sie von den falschen
Leuchtfeuern der Strandpiraten in die Irre geführt wurden -all
diese armen Seelen, außerstande, den eigenen Tod anzunehmen,
richten nun ihren ganzen Schmerz und ihre Rachsucht gegen sie. Sie
schleichen auf Bjarg umeinander, gesichtslos, von einem bläulichen
Leuchten umgeben, die Seeleute triefnass, wenn sie ihr die Hände
um den Hals legen und zudrücken, bis sie keine Luft mehr
bekommt. Sogar das Haus selbst hat sich mit den Geistern verbündet.
Tagsüber geht ständig etwas kaputt, nachts scheint es zu
stöhnen wie ein Lungenkranker. Oder wie jemand, der schreien
will und es gelingt ihm nicht, weil er verschüttet ist unter
Bergen von Trümmern.
Fritzi hat verstanden: Die Zeit der Zuflucht ist vorüber.
Jetzt wird abgerechnet. Dazu passt es, dass rotgesichtige Männer
in Anzügen im Fernsehen von einem drohenden Kollaps der Banken
reden, nackte Panik im Blick.Die Krone ist fast nichts mehr wert.
Wird sie alles verlieren? Oder ist sie bereits pleite? Bei solchen
Dingen hilft ihr sonst der Enkel.
Als ob die Mächte des Unheils Freude daran hätten, sie
mit immer neuen Vorboten zu martern, zieht eines Nachts ein
Gewittersturm über das Land hinweg und begräbt ihr sorgsam
wiederhergestelltes Gemüsebeet unter einer Schneedecke, die von
der rötlichen Lava des Hochlandes verfärbt ist: Blutschnee.
Zwei Tage später bringt ein Erdbeben in den frühen
Morgenstunden im Berghang vor dem Küchenfenster einen Troll zum
Vorschein.
Als Fritzi die Fratze sieht, muss sie sich fest in die Hand
beißen, um nicht loszukreischen. Ein Gesicht, das sie kennt
-und nie,nie mehr wiedersehen wollte.
Wozu hätte sie es sonst lebendig begraben?
Picknick in der Wildnis mit isländischem Büchsenbier und
Schokoriegeln von der Tankstelle. Sie befinden sich am Rand einer
kreisrunden Schlucht. Gegenüber ein Wasserfall. Mit viel Karacho
stürzt ein schmaler Strom aus Gletscherwasser über eine
Abbruchkante gut zwanzig Meter in die Tiefe. Darüber ein
Schleier von Gischt, Regenbogen tanzen in der Sonne.
Sie mussten eine Weile bergauf wandern, um ans Ziel zu gelangen.
Liv, nach ihrem Kampf gegen den Wintereinbruch nicht in bester
Verfassung, ist außer Atem, als sie ankommen, findet den
Ausblick aber der Mühe wert.Überall Grün, auch
zwischen den nass glänzenden Basalttafeln der Schlucht. Ihr
Rastplatz ist eine Blumenwiese mit Tupfern in Gelb, Rosa und Blau.
Kein Schnee weit und breit, hier herrscht Frühling. Und was für
einer. Wie im Garten Eden kommt man sich vor, von einem flüchtigen
Schwefelgeruch abgesehen. Vogelgesang, Wasserrauschen, Liv kaut auf
einem Strohhalm, und Rúnar doziert über heiße
unterirdische Quellen.Ansonsten hat er während des gesamten
Ausflugs kaum etwas gesagt. Dafür haben sie sich an den Händen
gehalten. Was schön war, aber nicht über die neue
Befangenheit zwischen ihnen hinwegtäuschen konnte. Kein Zweifel:
Die Sache mit ihnen ist gelaufen, es geht ihm wirklich nur darum, das
Ende aufzupolieren.
Als Bier und Schokolade verbraucht sind und es Liv bei aller
Schönheit nicht länger erfüllt, nur auf die Landschaft
zu starren, betrachtet sie
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