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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Teile und lässt sich niemals wieder
in seinen Urzustand zurückversetzen. Es hätte auch nur in
drei Teile zerbrechen können oder in zehn. Egal, es ist hin. Für
alles und jedes gibt es unendlich viele Möglichkeiten, kaputt zu
sein, und nur eine einzige Form der Unversehrtheit. Du und ich, wir
haben noch nicht mal heil angefangen.«
    Was für ein wirres Gerede. Liv würde es gern dem
Weißwein zuschreiben, aber eigentlich macht Rúnar keinen
betrunkenen Eindruck. Der Kellner entschuldigt sich für die
Störung und zieht sich zurück. Sie hat das ungute Gefühl,
dass er Deutsch versteht, und stellt sich vor, wie das Personal in
der Küche über sie scherzt: Die Rothaarige hat versucht,
sich den Organisten zu angeln, aber der hat sie eiskalt abserviert.
Wer weiß, vielleicht hat er die Nummer mit dem Glas schon oft
durchgezogen.
    Liv merkt, wie sie Kopfschmerzen bekommt, und tastet verstohlen
nach der Beule an ihrem Kopf, dabei rutscht die Serviette vom Schoß
unter den Tisch, und sie bückt sich, um sie aufzuheben. Zwischen
Rúnars blank polierten Lederschuhen glitzern weitere
Glassplitter. Einen größeren hebt sie auf, zusammen mit
der Serviette, reibt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, ohne sich
zu schneiden.
    Â»Manche Gläser halten eine ganze Weile«, sagt
sie, den Blick auf den Splitter gerichtet. »Vorausgesetzt
natürlich, es kommt niemand und schmeißt mutwillig mit
ihnen herum.«
    Â»Mag sein.Es gibt Leute, die gehen sorgsam mit ihren Sachen
um.Genauso wie mit ihren Beziehungen und mit sich selbst.Aber so
jemand bin ich nicht. Und ich schwöre, du auch nicht, Liv
Engel.«
    Nachts, allein im Hotelzimmer, ergänzen Magenkrämpfe die
Kopfschmerzen. Liv kann nicht einschlafen und ist unsicher, ob der
Hummer daran schuld ist oder der verdorbene Abend im Allgemeinen. Bei
Meeresfrüchten kann man nicht vorsichtig genug sein. Allerdings
gibt sie eher Rúnar die Schuld. Er hätte sie nicht so
behandeln dürfen. Trotzdem wünschte sie, er wäre jetzt
bei ihr. Sie trinkt in Rekordzeit den Rotwein aus der Minibar, eine
0,5-Liter-Flasche, und isst dazu Salzstangen. Das Kopfweh
verflüchtigt sich.Auf den Magen wirkt beides weder gut noch
schlecht. Wenigstens wird sie müde. Im Halbschlaf kommt es ihr
vor, als würde das Bett vibrieren, und sie denkt sich nichts
dabei.
    Das Aufwachen am nächsten Vormittag, verlassen und verkatert,
ist wahre Folter. Wie konnte Rúnar sie nur so brüsk
zurückweisen, nachdem er sich zuvor dermaßen rührend
um sie bemüht hat? Fast schon
    aufdringlich. Sie wird nicht schlau daraus. Erst recht nicht, als
er sie vordem Hotel abpasst, dem Augenschein nach ebenso
unausgeschlafen wie sie.
    Â»Hast du das Erdbeben bemerkt?«
    Â»Nein.«
    Â»Können wir reden?« »Nö, lass man.«
    Er packt sie am Ärmel. »Ich wollte mich entschuldigen.«
    Â»Wofür? Du hast nur gesagt, was Sache ist:Aus uns wird
nichts. Das kann man auch in einem Satz rüberbringen, aber du
hast eben ein paar mehr gebraucht. Und dazu die tolle Nummer mit dem
Glas. Eindrucksvoll.«
    Sie hat die Scherbe sogar aufbewahrt.
    Â»Geht es auch ohne deinen Zynismus?«, fragt er.
    Â»Nein, Rúnar, ich fürchte nicht.«
    Sie macht sich los und geht die Frakkastigur hinunter Richtung
Kaffi Sólon, um dort einen Kaffee zu trinken, weil sie das
Hotelfrühstück verschlafen hat, danach will sie Ragnar
einen Besuch abstatten. Ihre Suche ist in eine Sackgasse geraten. Sie
kann ja nicht sämtliche deutschen Einwanderinnen abklappern, in
der vagen Hoffnung, zufällig ihrer Großtante Inga
gegenüberzustehen. Es macht einfach keinen Sinn. Wenn der
Elfenbeauftragte keine Idee hat, was sie hier noch ausrichten kann,
wird sie zurückfliegen. Zumal sie gestern ihre Mails gecheckt
hat: Die Firma ist drauf und dran, zwei sicher geglaubte Aufträge
an die Konkurrenz zu verlieren. Da ist es auch mit ein paar Anrufen
aus dem Ausland nicht getan, sie muss sich kümmern. Ihr Typ wird
verlangt. Womöglich sollte sie sich wieder auf die Dinge
besinnen, die ihr wirklich liegen:Arbeiten und Singen nach
Feierabend. Als Amateurdetektivin und verliebtes Ding ist sie
jedenfalls ein Totalausfall.
    Â»Warte doch mal.« Rúnar hat sich an ihre Fersen
geheftet. »Hast du dir schon den Himmel angesehen?«
    Liv blickt nach oben: Kornblumenblau, ohne Wolken.Außerdem
ist es warm, mindestens zehn

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