Wiederkehr des Bosen
Zwillinge über einen Umweg in ihre Gewalt zu bringen. Plötzlich wurde Ileana wieder von dem Gefühl überwältigt, dass etwas Furchtbares geschah. Aber sie wusste, dass es sich in großer Ferne ereignete - jedenfalls nicht im Umkreis von Coventry Island. Aber vielleicht ereignete es sich ja in der Nähe der Zwillinge? Waren Alexandra und Camryn wieder einmal in Gefahr?
Erneut drängte sich die schreckliche Stimme in ihr Bewusstsein. Sie musste mit anhören, wie ein Mensch um Gnade flehte, auf den Knien über den Boden rutschte, wie Fingernägel an den Möbeln kratzten, Stiefel scharrten, wie sich dieser Mensch zu retten versuchte. Es klang, als befinde er sich in einem hohlen Raum, in einer Art Metallcontainer, in dem seine Stimme widerhallte. Ein geschlossener Güterwaggon? Nein, etwas, das sich nicht bewegte, nicht auf Rädern rollte. Etwas, das einsam und verlassen in einem weiten, schneebedeckten Feld zu stehen schien. Wer war es ?
Woher kam die Stimme ?
Ein kälteklirrender Ort mit riesigen Bergen und einem weiten Himmel. Das konnte überall sein.
Nur nicht in Marble Bay, stellte sie erleichtert fest. Sie vernahm kein Geräusch, das an das Rauschen von Salzwassermeeren oder an die Schreie von Möwen erinnerte. Ileana war sich sicher, dass die Zwillingsschwestern davon nicht betroffen waren. Das erleichterte sie und schuf augenblicklich auch Raum in ihrem Kopf für andere Gedanken - zum Beispiel an Brice Stanley, den Filmstar, der, wie sie entdeckt hatte, auch ein brillanter Hexer war, den sie abgöttisch liebte - und schon seit Wochen in seinem kalifornischen Haus besuchen wollte. Aber immer kam etwas dazwischen.
Sie wandte sich Karsh zu. »Es war ein Fehler, nicht nach Kalifornien zu fahren«, führte sie ihre Gedanken laut weiter, da sie wusste, dass Karsh ohnehin zugehört hatte. »Natürlich musste ich wieder einmal nach Massachusetts, um unsere kleinen Hexen zu retten, die ständig in irgendwelche Probleme geraten. Und dann musste ich im Alleingang auch Euch noch aus dieser Kidnap-Katastrophe herausholen!«
»Tut mir wirklich Leid, Euch solche Probleme zu bereiten«, seufzte Karsh. »Warum könnt Ihr nicht jetzt Euren Freund Brice besuchen? Lord Grivveness oder Lady Rhianna werden schon ab und zu vorbeischauen, um mir meine Kräuter zu bringen ...«
»Genau das hatte ich auch vor!«, sagte Ileana theatralisch. »Aber Lady Rhianna, pah!«, fügte sie knurrend hinzu. »Diese plumpe alte Hexe kann sich nicht um Euch kümmern. Jedenfalls nicht so gut wie ich.« Karsh unterdrückte ein Grinsen.
»Jedenfalls werde ich nun eben nicht nach Kalifornien fliegen«, schnaubte Ileana. »Und ich kann nicht - oder besser, ich muss auch nicht...«
»Warum könnt Ihr nicht?«, fragte Karsh besorgt. »Sind die Zwillinge wieder in Schwierigkeiten ?«
»Nein. Sondern weil Brice Stanley gar nicht dort ist. Er ist in Mexiko und dreht einen neuen Film. Dafür können unsere lieben kleinen Hexen ausnahmsweise nichts.« Karsh lächelte zufrieden. Seinen Lieblingen ging es gut, und Ileana bestätigte seine Gedanken noch einmal. »Jedenfalls braucht Ihr Euch jetzt eine Weile keine Sorgen um sie zu machen. Zur Abwechslung - und zu unserer Erholung - leben sie jetzt endlich einmal sicher und gut versorgt in Marble Bay.«
Kapitel 4 - HEIMKEHR
»Da ist sie, Dad, in dem roten Sweatshirt! Ich knall durch, sie färbt ihre Haare nicht mehr!« Lucindas kreischende Stimme war sogar über den geschäftigen Flughafenlärm hinweg deutlich zu hören. Breit grinsend drängte sich das Mädchen mit den wild abstehenden Haaren durch die Menge, wobei sie ihren Vater hinter sich herzerrte. »Nein, was laber ich, ich seh schon gar nicht mehr durch vor Aufregung. Die dort ist Alexandra, die Platinblonde in der schwarzen Jacke!«
Lucinda drängte sich rücksichtslos zwischen zwei Geschäftsmännern durch, die eben ihre Visitenkarten austauschten, und warf sich in Alex' Arme. »Da bist du ja endlich mal wieder, Alex!«
Lucinda Carmelson war ein stämmiges Mädchen mit makellosem Teint und reizenden Grübchen, wenn sie lächelte. Alex hatte sie zuletzt vor Monaten gesehen, im Sommer. Damals hatte Luce ihr Haar ganz anders getragen - zu einer Unmenge spagettidünner Zöpfchen geflochten, von denen sie einige knallrot gefärbt hatte. Die Zöpfchen waren jetzt verschwunden, aber bei der Farbe hatte sie noch zugelegt: Ihr Haar erstrahlte in einem glühenden Signalorange.
Alex atmete Lucindas besonderen Duft ein - den süßen, sauberen
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