Wiederkehr des Bosen
Geruch von Babypuder. Sie konnte sich auch an Evans Geruch erinnern: der herbe Duft von Bitterschokolade. Und ihre Mutter Sara hatte immer wie frisch gemähtes Gras gerochen. Einen schmerzlichen Augenblick lang kamen ihr die Tränen, die sie aber gleich wieder zurückdrängte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, sagte sie grinsend: »Oh, tut mir Leid, aber ich bin Camryn Barnes. Und wer bist du?«
Die echte Camryn blickte sich derweil misstrauisch in der Terminalhalle um und beobachtete die emsig hin und her eilenden Menschen - Männer in Freizeitkleidung oder in eleganten, grauen Anzügen, die spitze Cowboystiefel oder teure, mahagonifarbene Halbschuhe trugen, und Frauen in seidenglänzenden Geschäftskostümen, das Haar prächtig und kunstvoll frisiert.
Luce warf einen einzigen Blick auf Cam und lachte: »Mich kannst du nicht leimen!«, sagte sie zu Alex. »Du bist die Echte, meine beste Freundin!«
Sie fielen sich noch einmal in die Arme, während Mr Carmelson mit seiner großen schwieligen Pranke Cams Hand so fest presste, dass Cam gerade noch einen Schmerzens-laut unterdrücken konnte. Auch Lucinda begrüßte Cam herzlich. »Ich flipp total aus. Kann es nicht fassen, dass ihr wirklich da seid!«
»Wo ist Ev?«, fragte Alex und reckte den Hals, um über Mr Carmelsons berghohe Schultern hinwegblicken zu können. Sie sah sich suchend nach ihrem alten Freund um - nach dem vertrauten Gesicht mit den breiten Backenknochen, dem bronzefarbenen Teint und den wilden, zottigen Rastalöckchen.
Für Alex und Luce war Evan Fretts immer wie ein Fels in der Brandung gewesen, ein Freund und Beschützer - und ihr Chauffeur, jedenfalls seit dem Tag, an dem ihm seine Mutter den Schlüssel ihres rostigen Pick-ups zugeworfen und ihm zum Geburtstag Glück gewünscht hatte - zwei Wochen zu spät...
Evans Mutter trank zu viel. Und sie weinte zu viel. Und manchmal verschwand sie für mehrere Tage hintereinander. Aber man durfte nichts gegen sie sagen, jedenfalls nicht, solange Ev in Hörweite war. Er liebte sie über alles. So war er eben: Je hoffnungsloser die Situation wurde -und ganz gleich, wo es »brannte« - desto stärker konnte man sich auf ihn verlassen. Aber wo steckte er jetzt ? »Sie haben ihn doch nicht schon wieder eingebuchtet?«, fragte Alex besorgt.
»Nöh. Es ist nur so, dass ich, verstehst du, ihm gar nicht gesagt habe, dass du heute kommst«, gestand Luce verlegen. »Ich wollte erst mal mit dir reden. Komm, wir trinken eine Coke, bis Dad euer Gepäck im Auto verstaut hat.«
Luce zog Alex mit sich durch den kleinen, aber belebten Flughafen. Cam schlenderte hinterher. Abgesehen davon, dass sich Cam wie eine glotzende Touristin vorkam, nagten auch noch Schuldgefühle wegen Bree an ihrem Gewissen, seit sie aus Massachusetts abgereist war. Sie hatte Brees nörgelnde Stimme noch immer im Ohr: »Ich höre, dass du nicht zu meiner Galafete kommst, weil du von deinem Double woanders hingeschleppt wirst! Natürlich ist es viel cooler, deinem ach-so-bescheidenen Klon nachzurennen, bloß weil die ihre Natur-Heimat wiedersehen will!«, motzte sie. »Da machst du natürlich gleich 'ne Biege, ist ja auch total wichtiger als so eine beknackte Fete zu meinem Fünfzehnten!«
Diese etwas fiese Art passte zu Bree, so hatte sie immer geredet, aber dahinter versteckte sie ihre Verletzlichkeit. Cam hatte immer deutlicher das Gefühl, dass in Brees Leben etwas gründlich danebenging. Brianna war in letzter Zeit tatsächlich sehr mager geworden, aber das musste noch nicht unbedingt etwas bedeuten. Sie hatte immer wieder zu-und abgenommen, je nach Stimmungslage, und außerdem war sie zurzeit auf dem Fitnesstrip. Aber dennoch machte Cam sich Sorgen.
Lucindas burschikoses Gelächter riss Cam jetzt aus ihren Gedanken. »Was du mir gemailt hast - du warst tatsächlich bei einem Rave ? Ich krieg mich nicht mehr ein! Bo-eh! Ich bin total hip, dass ihr da seid!«
»Wir sind nur teilweise hier«, sagte Alex und warf ihrer Schwester einen Blick zu, die lustlos hinter ihnen herging. »Camryns Körper ist zwar hier, aber in Gedanken ist sie in Marble Bay.«
Log dich nur ein, wann immer du Lust hast!, zischte Cam still ihrer Schwester zu, die sich wieder einmal ohne Erlaubnis in ihre Gedanken eingemischt hatte. Ich hah wohl kein Recht mehr auf ein Privatleben! Laut sagte sie: »Ich habe gerade an Brianna gedacht. Wir müssen ein wirklich irres Geburtstagsgeschenk für sie finden. Sonst hab ich ein Problem.«
»Kein Sorge«, versprach
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