Wiedersehen in Barsaloi
ich zum Fluss ging, um Wasser zu schöpfen oder Kleider zu waschen, nahm ich sie manchmal mit. Dann badete sie in einer Pfütze und quietschte vor Vergnügen. Einmal brachte ich ihr aus der Schweiz eine braune Puppe mit, die anfänglich bei den Dorfbewohnern beinahe einen Aufstand verursachte, da sie dachten, es handle sich um ein totes Baby. Nun bin ich sehr gespannt, wie Saguna heute aussieht und ob sie sich noch an mich erinnern kann.
Ich schlürfe den heißen süßen Tee und fühle, wie ich langsam ruhiger werde. Dieser Tee löst in mir ein Heimatgefühl aus. Klaus findet ihn scheußlich und auch Albert zieht eine Wasserflasche aus dem Auto vor, während er mir wie der beste Champagner vorkommt. Häufig war dieses Getränk über Tage hinweg das einzige Nahrungsmittel, das uns zur Verfügung stand.
Draußen vor dem Eingang sitzen zwei jüngere Mädchen am Boden und ich frage Lketinga nach Napirais Halbschwester. Er dreht sich um und spricht zu den zwei Kindern. Eine der beiden kommt schüchtern in den Raum. Sofort erkenne ich eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Tochter, vor allem um die Augen- und Stirnpartie. Lächelnd winke ich ihr zu, doch sie wagt sich nicht bis zu mir. Lketinga spricht in einem energischen Ton mit ihr und nun gibt sich das scheue Mädchen einen Ruck und begrüßt mich, ohne aufzublicken. Napirai war und ist bis heute auch eher ein scheues Kind. Ob das wohl an den Genen liegt? Shankayon hat die markante Nase ihres Vaters, während Napirai eindeutig die eher runde Nase ihrer afrikanischen Großmutter geerbt hat.
Lketinga erklärt, dass seine Tochter zur Schule geht und macht dabei eine leicht abschätzige Handbewegung. Schule hat für ihn nichts mit dem richtigen Leben zu tun, und deshalb finde ich es bemerkenswert, dass er dennoch seinem bisher einzigen Kind hier in Afrika diese Möglichkeit bietet. Nach wie vor bestimmt nämlich der Vater, ob ein Kind zur Schule gehen darf, obwohl unter der neuen Regierung die Schulpflicht eingeführt wurde. Die hübsche Shankayon ist mit acht Jahren für ihr Alter sehr groß. Neben ihr hüpft die dreijährige Saruni vorbei und bestaunt uns unverhohlen und neugierig.
Ihr Vater James erzählt stolz, dass außer dem älteren Bruder die gesamte Familie hier im Kral zusammenlebt. Selbst Mama sei von der anderen Seite des Dorfes, wo wir früher gelebt hatten, herübergekommen, um näher bei ihnen zu sein. Überhaupt gebe es auf dem Hügel keine Manyattas mehr, sondern alle seien ins Dorf gezogen. Verwundert frage ich nach dem Grund. Da antwortet James lachend: »Du siehst doch, wie sich Barsaloi vergrößert und verändert hat. Heute haben wir hier im Dorf eine Wasserstelle, wo immer sauberes Trinkwasser aus einem Rohr fließt. Niemand geht mehr den weiten Weg, um Wasser am Fluss zu holen.«
Ich kann nur immer wieder staunen, wie viel sich in den vierzehn Jahren getan hat. James deutet auf den Hof und zeigt uns ein kleines Gebäude aus Wellblech. »Das ist unser Bad und unsere Toilette«, erklärt er voller Stolz. Wie ich später feststellen kann, ist die Toilette ein einfaches Stehklo und das Bad ist ein kahler Raum, in dem ein rotes Plastikwaschbecken am Boden steht. So einfach diese »Nasszelle« auch ist, bin ich froh, nicht mehr im Busch verschwinden und anschließend noch das gebrauchte Toilettenpapier verbrennen zu müssen. Zwischen einer Akazie und dem Toilettenhäuschen hängt Wäsche zum Trocknen an einer Leine. Ja, von diesem Kral geht etwas Friedliches aus. James hat wirklich alles gut organisiert.
Lketinga unterbricht meine Gedanken, indem er fragt: »Weißt du, wie viele Shops jetzt hier sind?« Ich schüttle den Kopf und schaue ihn erwartungsvoll an. »Vierzehn Shops, drei Metzgereien und eine Bierbar gibt es heute in Barsaloi, verrückt, oder?« Das ist allerdings eine große Überraschung. War ich doch vor siebzehn Jahren die Erste, die einen vernünftigen Lebensmittelladen auf die Beine gestellt hatte. Wenn wir ausverkauft waren, gab es in ganz Barsaloi und Umgebung keine Möglichkeit, etwas zu erwerben. Zu hören, dass es heute immer genügend Lebensmittel gibt, freut mich sehr. Alles, was ich in der kurzen Zeit unseres Hierseins gesehen und gehört habe, vermittelt den Eindruck, dass das zwar nach wie vor karge und harte Leben wesentlich leichter geworden ist. Sicherlich geht es auch meiner afrikanischen Familie durch die finanzielle Unterstützung unsererseits über all die Jahre hinweg um einiges besser als vielen anderen.
Als ob
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