Wiedersehen in Barsaloi
hört auf zu singen und steigt aus der Grube. Er schaut uns misstrauisch an, während er Lketingas Begrüßungsfloskeln beantwortet, und geht gemächlich den Kamelen hinterher. Aus allen Richtungen strömen um diese Zeit Mädchen, Jungen oder Krieger mit ihren Herden zum Fluss. Innerhalb kürzester Zeit ist das ganze Flussbett mit Hunderten von Ziegen und vereinzelten Schafen in allen Farben »bevölkert«. Etwa 200 Meter von uns entfernt erkennt man noch ein kleines Rinnsal. Um das Bächlein herum ist der Sand in weiten Teilen dunkel verfärbt, unter der Oberfläche fließt also noch Wasser. Weiter flussabwärts war früher unser »Waschplatz«, an dem Lketinga und ich uns immer gegenseitig gewaschen haben. Heute fließt dort kein Wasser mehr.
Wir schlendern weiter zu den vielen Ziegen. Die traditionell gekleideten Mädchen versuchen mit kleinen Stöckchen ihre jeweilige Herde beisammen zu halten. Zwischen den Herden stolzieren Krieger. Mir fällt auf, dass einige Männer statt mit den üblichen Speeren mit Gewehren bewaffnet sind. Lketinga erklärt, warum: »Seit dem blutigen Streit mit den Turkana besitzen hier viele Gewehre.« Diese neue Art der Bewaffnung vermittelt eine fast bedrohliche Atmosphäre. Bei den jungen Mädchen finde ich bemerkenswert, dass keines mehr eine gegerbte, mit Glasperlen verzierte Lederhaut anhat, sondern alle unter ihrem Kanga einen europäischen, meist karierten Rock tragen. Nach wie vor dagegen sind ihre nackten Brüste mit dem traditionellen Halsschmuck bedeckt.
Überall meckern Ziegen in heller Aufregung. Lketinga wechselt hie und da ein paar Worte mit den Hirten. Wir schlendern weiter auf einen einzigartigen riesigen Baum zu, der etwas erhöht am Flussufer thront und dazu einlädt, unter ihm zu rasten. Lketinga und ich setzen uns auf eine mächtige Baumwurzel und beobachten von leicht erhöhter Lage das bunte Treiben am Fluss. Klaus ist begeistert dabei, die archaischen Bilder filmisch einzufangen.
Lketinga zeigt auf ein junges Mädchen, das gerade mit der Herde zum Fluss kommt. Er erkennt sie schon von weitem als Natascha. Beim Klang dieses Namens werde ich sofort hellhörig. Vor sechzehn Jahren hatte ich der ersten Tochter eines Halbbruders von Lketinga diesen Namen gegeben. Wir waren auf Besuch in Sitedi und dabei bekam ich das nackte neugeborene Baby in die Arme gelegt. Als ich den Namen wissen wollte, lachte die Mutter und sagte: »Gib ihr einen Mzungu-Namen, sie hat noch keinen.« Ganz spontan fiel mir Natascha ein. Es freut mich, dass dieser Name beibehalten wurde.
Und da steht sie nun nur ein paar Meter von uns entfernt. Ich möchte sie begrüßen und so kommt Lketinga mit mir. Natürlich kennt sie mich nicht, sondern weiß nur, dass sie von mir ihren Namen bekommen hat. Sie ist sehr schüchtern und spricht keinen Ton. Ihre Kleidung ist an mehreren Stellen geflickt. Ich ärgere mich, dass ich nichts, nicht einmal ein paar Süßigkeiten zum Verschenken dabei habe.
Als ich Lketinga mitteile, dass ich ihr gerne etwas schenken würde, schlägt er vor, ihr einige Schillinge zu geben. Dann könne sie schnell ins Dorf laufen, um sich einen schönen Kanga zu kaufen. Zweifelnd frage ich, wer denn in ihrer Abwesenheit auf die Ziegen aufpassen würde. Lketinga spricht mit einem Krieger, der ebenfalls seine Herde am Fluss tränkt. Er ist einverstanden, in der Zwischenzeit Nataschas Tiere zu hüten. Da nimmt sie das Geld und läuft in großen Schritten Richtung Barsaloi.
Während sie unterwegs ist, schaue ich immer wieder auf ihre Herde. Hoffentlich geht keine Ziege verloren, sonst wäre es kein guter Tausch für das Mädchen. Wie früher wundere ich mich, wie alle ihre Tiere auseinander halten können. Die meisten Ziegen sind weiß und für mein ungeübtes Auge schwer zu unterscheiden.
Wir sitzen wieder im Schatten des Baumes und ich genieße den schönen Überblick über das Flussbett. Etwas weiter hinten sitzen zwei nackte Krieger im Sand und waschen ihre dunklen, graziösen Körper, während ihre roten Kangas auf einem Felsvorsprung zum Trocknen in der heißen Sonne liegen. Niemand beachtet sie. Es ist eine friedliche, fast biblische Stimmung.
Nur eine Weile später sagt Lketinga: »Natascha is coming back.« Tatsächlich springt und hüpft sie mit einem sonnengelben Schultertuch den Weg entlang. Es ist wundervoll zu sehen, wie sie es genießt, dieses Tuch hinter sich herflattern zu lassen. Schüchtern bedankt sie sich und möchte sogar noch etwas Kleingeld zurückgeben, was
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