Wiedersehen in Barsaloi
Laufe des Tages garen. An einer Trennwand vor mir ist ein kleines neugeborenes Zicklein angebunden und döst vor sich hin. Neben mir steht eine weitere Metallkiste, auf der ich einige Utensilien von Lketinga erkenne. Deshalb nehme ich an, dass er vorläufig bei Mama wohnt, während seine junge Frau hier irgendwo eine neue Hütte aufbaut, da ihm die Samburu-Sitte nicht erlaubt, mit der dritten Frau in die Manyatta seiner zweiten Frau einzuziehen. Eigentlich hatte ich ja den Wunsch, eine Nacht in der Manyatta von Mama zu verbringen. Aber nach dem, was ich gerade wahrgenommen habe, sollte ich davon lieber Abstand nehmen. Schließlich möchte ich keine unnötigen Aufregungen verursachen.
Während ich den heißen Tee schlürfe, verfolge ich die Unterhaltung zwischen Lketinga und seiner Mutter.
Sie wird immer energischer und ich frage nach, was los ist. Mama sei verärgert, weil es keinen Mais mehr gäbe und sie für die Kinder kein Ugali mehr kochen könne. Auch würde sie schon von einigen Frauen geneckt, weil wir ihr bis jetzt keine Geschenke in Form von Lebensmitteln überreicht hätten. Lketinga erklärt ihr, dass James gestern alles in sein Haus verfrachtet hat und wir mit ihm heute Abend, wenn er zurück ist, gemeinsam die Geschenke verteilen wollten. Das scheint sie zu besänftigen und sie sieht wieder zufrieden aus. Da es allerdings, wenn man Hunger hat, bis zum Abend allzu lange dauert, holen wir einen der mitgebrachten Maismehlsäcke. Mama bedankt sich wie gewohnt mit einem eher finsteren Gesichtsausdruck, der seine Erklärung findet, als kurz darauf mehrere Frauen um Einlass in die Hütte bitten. Wir machen Platz und gehen nach draußen, da wir uns sowieso auf den Weg zum Fluss machen möchten.
Am Fluss
Bei meiner Spurensuche möchte ich mit dem Platz beginnen, wo unsere frühere Manyatta stand. Durch dorniges Savannengelände stapfen wir zur gegenüberliegenden Seite des Dorfes. Klaus hat wie immer seine Filmkamera, Albert einen Fotoapparat dabei. Als wir die Anhöhe erreichen, sehe ich nur noch einige wenige vertrocknete Dornenzweige, die an den ehemaligen Kral erinnern. Am sandigen rotbraunen Boden ist nichts mehr zu erkennen. Nur die Akazie, unter der sich Mama immer mit den Kindern aufhielt, steht einsam und verloren da. Lketinga und ich erzählen unseren beiden Begleitern, wie wir hier gelebt haben. Anschließend marschieren wir den gleichen Weg zum Fluss, den ich jahrelang benutzte, um mein tägliches Trinkwasser zu holen oder mich und die Kleider zu waschen. Im Gegensatz zu früher, als ich auf diesem Weg ständig Frauen traf, begegnen wir heute niemandem, da sich ja neuerdings eine Wasserstelle im Dorf befindet.
Lketinga nimmt wie selbstverständlich meinen Rucksack und schultert ihn. Wir gehen voraus und er fragt mich: »You remember this way?« Ich antworte, dass ich mich so gut erinnere, als wäre es gestern gewesen. Schweigend gehen wir weiter. Ab und zu bleibt mein Rock an einem Dornenast hängen. Hier in Barsaloi ziehe ich bewusst nur Röcke an, da Hosen für Frauen als »unsittlich« gelten.
Wir haben den Fluss fast erreicht, als Lketinga beginnt, über den Film und das Buch zu sprechen. In vorwurfsvollem Ton fragt er: »Warum spielt jemand mich und ist doch nicht ich? Wofür kann das gut sein? Kennst du diesen Mann? Was hat er mit uns zu tun?« Gerade noch in meine Erinnerungen an damals vertieft, bin ich zunächst völlig überrumpelt. Vorsichtig versuche ich ihm zu erklären, dass die Personen im Film nichts mit uns zu tun haben: »Auch ich spiele ja nicht mich, sondern eine Frau, die du nicht kennst. Mama ist auch nicht Mama und James ist nicht James. Das ist normal bei einem Film. Viele Menschen in Europa lieben unsere Geschichte und möchten außerdem sehen, wie es hier aussieht. Der Film zeigt es ihnen, ohne dass sie hierher reisen müssen.»
Aufmerksam hört er zu, schweigt einen Augenblick und fährt fort: »Aber immer wieder kommen fremde Leute zu uns und erzählen, dass du mich betrügen willst. Dass du in der Schweiz ein eigenes Flugzeug hast, viele Häuser und große Autos besitzt.« Diese absurden Vorwürfe machen mich im ersten Moment sprachlos, doch nach einer Weile frage ich ihn, welche Leute diese Lügen erzählen. Da antwortet er: »Ich kenne diese Personen nicht, aber sie kommen von überall, auch aus der Schweiz, und vielleicht kennen sie dich. Ich weiß nicht, ob das alles stimmt. Manchmal kommen Krieger von der Küste nach Hause und erzählen auch solche
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