Wiedersehen in den Highlands - Roman
Vielleicht würde ja bei Caddy Crawford’s die Hölle los sein und er mit offenen Armen empfangen werden. Möglicherweise würde ihm sogar Rose über den Weg laufen. Mit etwas Glück würde sie ihm dümmlich zulächeln und ihm sein ungehobeltes Benehmen verzeihen. Gegen jede Vernunft hoffte Tom sogar, dass sie sich in einer der verschneiten Gassen küssen würden und seine Liebe, seine Leidenschaft wieder hell auflodern würde.
Nicht eine Menschenseele war auf Hayes’ verkümmerter Hauptstraße zu sehen. Regen tropfte aus der Wolkendecke und zerfurchte die Schneehaufen, die sich in den Gossen türmten. Das einzige Geräusch, das man hörte, war das Wasser, das in kleinen Rinnsalen unter dem Schnee vor sich hin sickerte.
Tom zögerte.
Vier Meilen hin und vier wieder zurück?
Für gar nichts, aller Voraussicht nach.
Tom schlenderte die Straße hinunter, die zu dem Weg nach Hawkshill führte. Er kam an der Schlachterei vorbei, die jetzt geschlossen war wie die Bäckerei; in der Saathandlung stand nichts als eine Kerze im Fenster; die Sattlerei – ebenfalls geschlossen – und das Zimmer darüber, Ort so vieler Fröhlichkeit, lagen dunkel wie die Nacht da.
Er erreichte die Ecke und sah zur Kirche hoch. Ihr schräges Dach war zum Teil verschneit, die stumpfe Turmspitze mit einer Schneehaube bedeckt, die wie Wachs wirkte, das auf einem Kerzenhalter getrocknet war. Der Friedhof wirkte trostlos mit seinen Grabsteinen, die aus zusammengeschrumpften Schneehügeln hervorragten. Tom stützte sich auf die Mauer und spähte hinüber zu den Gräbern; er suchte den Stein, der die Stelle kennzeichnete, an der sein Vater lag.
»Daddy?«, sagte er nicht sehr laut. »Daddy, bist du noch hier?«
Es kam keine Antwort – was darauf hinzudeuten schien, dass sein Vater weitergezogen oder, vermutlich eher, zu mürrisch war, um zu antworten. Auf einmal verlor Tom die Geduld mit seiner Fantasie, wandte sich ab und trat den Heimweg an.
Papa saß mit zurückgelegtem Kopf auf dem Stuhl im Salon und schlief mit offenem Mund. Rose fand, dass es kein allzu gemütlicher Stuhl war, aber andererseits war ihr Vater auch kein allzu gemütlicher Mann. Dennoch hatte er es geschafft, Arme und Beine an das Möbelstück anzupassen, und war nun völlig weggetreten, obwohl seine Schuhsohlen in der Hitze des Feuers zu dampfen begannen.
Lucas war bald nach dem Frühstück aufgebrochen. Heiligabend hin oder her, es war ein Tag gewesen, mit dem sie nichts Rechtes anzufangen wusste. In England geschahen nette Dinge. Selbst die bescheidensten Häuser wurden mit Immergrün geschmückt, Hausherren und Dienstboten wünschten einander ein frohes Fest, Geschenke wurden getauscht, und am nächsten Tag würde es ein Festmahl, Tanz und Fröhlichkeit geben. In allen Kirchtürmen würden die Glocken läuten, und jedermann würde zur Kirche gehen, reichlich essen und trinken und ganz allgemein glücklich und zufrieden sein – was man von den Bewohnern von Drennan nicht behaupten konnte, für die es schon anstrengend genug war, sich auch nur zu einem Lächeln zu zwingen.
Rose ging der Gedanke durch den Kopf, dass das englische Weihnachtsfest, wie es in Büchern dargestellt wurde, vielleicht nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprach, doch sie zog es vor, an die Fiktion zu glauben. Alles war besser als ein schottisches Neujahrsfest, das in Rose’ Augen nichts weiter als eine Ausrede für ausschweifende Trinkgelage, aufgesetzte gute Laune und großspurige Reden über die angeborene Überlegenheit der Rasse war.
Den ganzen Nachmittag wanderte sie ruhelos durchs Haus, und erst bei Einbruch der Dämmerung wurde ihr allmählich bewusst, was ihr so zu schaffen machte und auf die Stimmung schlug. Dorothy hatte der Alltagstrott wieder eingeholt, Mrs. Prole hatte ihren Kampfgeist zurückgewonnen, und nachdem Lucas gegangen war, hatte Rose begonnen, über den Zustand der Nation nachzugrübeln, über den sie sehr wenig wusste, und über den Zustand ihres Herzens, der für sie ein noch größeres Rätsel war.
Da die Märkte geschlossen waren und die Fischerboote im Hafen festsaßen, hatte Mrs. Prole auf den Inhalt der Speisekammer zurückgreifen müssen. Sie hatte ein Gefäß mit eingemachten Kutteln zutage gefördert, das ekelhafte Zeug über Nacht eingeweicht und einen halben Tag lang gekocht. Jetzt war sie damit beschäftigt, den Kuhmagen in ein fürstliches Mahl zu verwandeln, indem sie großzügige Mengen gehackter Zwiebeln, ein bisschen verschrumpelten Sellerie und
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