Wiedersehen in den Highlands - Roman
seine Mutter noch sein Vater je Tassie Landles’ Namen. Tassie war das schwarze Schaf der Familie, ein Makel, der selbst im Verlauf vieler Jahre nicht ausgelöscht worden war. Nur Peter und sein Bruder David hatten Verbindung mit ihr. Man hatte ihnen die Vermittlerrolle zugewiesen, sobald sie alt genug gewesen waren, um ein Pony zu satteln und von Copplestone nach Drennan zu reiten.
Es waren nicht nur Tassies seltsame Gaben oder ihre Lebensweise, durch die sie sich von den Fryes unterschied. Sie war die Folge einer unehelichen Verbindung zwischen Peters Großvater und einer wilden jungen Frau aus der Grafschaft Renfrew gewesen, die, wie es hieß, den Mann mit einem solch mächtigen Bann belegt hatte, dass er willens gewesen war, seine Ehe aufzugeben, um sich mit ihr einzulassen. Tassie war das Ergebnis dieser längst vergangenen Affäre. Ausgesetzt auf der Schwelle von Copplestone, war sie als kleines Kind einer Frau in Drennan in Pflege gegeben und fast, wenn nicht sogar völlig vergessen worden.
Im Laufe der Jahre war immer wieder ein bisschen Geld an die Pflegemutter, Alice Landles, geflossen, die drei eigene Söhne, aber keinen Ehemann gehabt hatte. Peters Mutter und sein »Tantchen« Tassie hatten einander nie kennengelernt. Bei den wenigen Malen, die sie sich auf der Straße begegnet waren, hatte es nicht einmal ein Kopfnicken zwischen ihnen gegeben. Aber nachdem die Landles-Söhne erwachsen und ausgezogen waren und Alice gestorben war, hatte Margaret Frye darauf bestanden, die familiäre Verbindung zu Tassie über David und Peter aufrechtzuerhalten, wenn auch nur, um die Frau davon abzuhalten, eine verspätete Rache zu üben – eine Vorstellung, die in Tassies Augen grotesk war.
Sie hielt ihrem »Neffen« den Löffel hin.
Peter leckte einen Klacks bläulich graue Sauce von der Spitze, schloss die Augen und sagte, wie von ihm erwartet wurde: »Köstlich!«
»Dann bleib«, forderte Tassie ihn auf. »Ich habe auch noch einen Walnusskuchen da, schön warm und würzig.«
»Nein, Tante Tassie.« Peter erhob sich. »Führ mich nicht in Versuchung! Ich muss wirklich nach Hause, bevor Mutter Zustände bekommt.«
»Wo ist dein Pferd?«
»In Caddys Stall.«
»Ist Brodie auch nach Hause gegangen?«
»Er hat Vieh nach Hause zu treiben – und seine Schwester ist bei ihm.«
»Das heißt, er wird heute Abend keinen Unfug im Schilde führen?«
»Nicht heute Abend, nein.« Peter sah zur Tür.
»Dann sag mir eines noch, bevor du davongaloppierst: Was will Tom Brodie von Hewitts Mädchen?«
»Was jeder Mann von einem hübschen Mädchen will.«
»Ist er in sie verliebt?«
»Tom verliebt sich in jedes Mädchen, das ihm gefällt. Bedauerlicherweise ist er unfähig, Liebe von Lust zu trennen.«
»Rose Hewitt wird ihm nur Kummer bereiten.«
»Ihr Vater, meinst du?«, sagte Peter.
»Nein, das Mädchen«, antwortete Tassie. »Ich meine das Mädchen.«
»Rose Hewitt ist nur ein kleines schwaches Ding.«
»Umso gefährlicher«, entgegnete Tassie und küsste Peter ein letztes Mal auf die Wange.
Mit nichts als einem Unterhemd bekleidet, kniete sie neben dem Bett. Er konnte ihre Konturen unter dem Leinen sehen, die weiblichen Formen von Hüfte und Gesäß, ihre Brüste, eingedrückt von ihrem Arm, üppig und prall. Ihr Unterrock, ihre Strümpfe und ihr Kleid lagen im Zimmer verstreut wie von einer wilden Windböe erfasst. Die Scherben des Wasserkrugs bedeckten die Dielen. Über das Kopfkissen, das vom vielen Klopfen unförmig war, stolperte Hewitt fast, als er ins Zimmer trat. Er stieg darüber, und sein Zorn verrauchte beim Anblick seiner Tochter, die gebeugt und still wie eine Nymphe bei ihrem Nachtgebet war.
Im ersten Augenblick dachte er, das Muster auf ihrem Unterhemd wäre eine kunstvolle Stickarbeit, doch dann, als er näher trat, sah er, dass es Blut war.
Er fragte sich, was sie sich angetan hatte, ob der Verdruss in Gewalt umgeschlagen war oder ob – und dieser Gedanke traf ihn wie ein Blitzschlag – Brodie und seine Bande ihr vielleicht die Kleider vom Leib gerissen und sie geschändet hatten, bei helllichtem Tag oder in diesem schmutzigen Hinterzimmer, das Caddy Crawford an Liebespaare vermietete.
»Rose?«, sagte er leise. »Rose, was haben sie mit dir gemacht?«
Sie regte sich nicht, kein Muskel, kein Haar bewegte sich.
Einen entsetzlichen Augenblick lang dachte er, sie könnte tot sein.
Er stürzte auf sie zu, packte sie bei den Haaren und riss ihren Kopf hoch. Ihre Augen waren weit aufgerissen,
Weitere Kostenlose Bücher