Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
tun. Wir schauten überall hin, nur nicht zueinander.
»Es war leicht, sich darin zu verfangen«, sagte ich. »Das weiß ich selbst am besten.« Ich sah auf die Gestalt vor mir. »Kommen Sie trotzdem zum Ball?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß noch immer nicht, wie ich über die letzten Tage denken soll. Ich fühle mich … irgendwie im Stich gelassen. Das ist natürlich absurd, weil ich nicht das Recht habe, etwas von Ihnen zu erwarten. Ich dachte, ich sei wütend, dabei bin ich einfach nur müde. Manche Dinge sind weniger wichtig als früher. Und irgendwie …« Sie schaute mich aufrichtig verwirrt an. »Irgendwie fällt es mir ziemlich schwer, Sie zu hassen.«
Der Neujahrsball in Hannesford: fröhlich, strahlend, ein Gewimmel von Menschen, geprägt von einer spürbaren Erleichterung. Es war ein schwieriges Jahr gewesen. Der Krieg, so hat man entdeckt, war nicht sauber zu Ende gegangen. Die Männer kehrten nur zögernd heim. Die Geschäfte füllten sich nicht sofort mit Nahrungsmitteln. Die Toten blieben, wo sie waren, oder wurden umgebettet, in langen, ordentlich beschrifteten Reihen bestattet. Es hatte Streiks und Proteste gegeben, sogar einen Aufstand; und lange nach dem Ende der Kämpfe wurden immer noch Verlustlisten veröffentlicht. Die Wunden klafften noch. Doch 1920 würde anders werden, ganz sicher. Im Jahr 1920 durften die Menschen wieder glücklich sein. Und die Wagen fuhren vor den Stufen von Hannesford Court vor und spien Gäste aus, die geradezu grimmig entschlossen waren, sich zu amüsieren. Nicht jede Einladung war angenommen worden, aber wer kam, vermittelte das Gefühl, dass ein altmodischer Ball nach einem schwierigen Jahr genau das Richtige war, um die Menschen aufzuheitern.
Sie wurden in der Großen Halle von Sir Robert und Lady Stansbury empfangen. Auch Reggie war dabei, weil er darauf bestanden hatte, das Schlimmste hinter sich zu bringen. Ich sah zu, wie er in makelloser Abendkleidung Hände schüttelte und mehr Anmut und gutes Benehmen verströmte, als ich je für möglich gehalten hätte. Seine Vorstellung war nahezu übertrieben, so als wollte er diejenigen herausfordern, die er begrüßte: Ich benehme mich tadellos. Wenn ihr zusammenzuckt, dann nur wegen meines Gesichtes. Von Zeit zu Zeit schaute Lady Stansbury ihn erfreut und ein wenig verwundert an.
Als sich die Räume füllten, wuchs auch die Erregung. Ich horchte auf das Geplauder um mich herum und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es anders klang. Beim letzten Mal hatten Hoffnung und gespannte Erwartung geherrscht. Die Menschen hatten gefeiert, als wären die Verheißungen der Zukunft grenzenlos. Jetzt konnte das Orchester so laut spielen wie es wollte, die grimmige Entschlossenheit, das Beste aus der Sache zu machen, ließ sich nicht überdecken.
Und natürlich waren die Männer in der Unterzahl. Ich hatte mich fast daran gewöhnt, und Lady Stansbury hatte gewiss ihr Bestes getan, um genügend Tanzpartner für die jungen Damen aufzutreiben. Es gab unreife junge Männer, fast noch Knaben, und ergraute Junggesellen im Überfluss, die man rekrutiert hatte, weil sie noch immer passabel Walzer tanzten.
Anne kam als eine der Letzten, begleitet vom Pfarrer. Sie trug ein schlichtes grünes Kleid, das sie elegant und reizend aussehen ließ. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln und nickte, doch es waren so viele Bekannte um uns herum, dass wir kaum miteinander sprechen konnten.
Wenn ich auf jenen Abend zurückblicke, sehe ich mich immer als Beobachter, der sich von einem Zimmer ins nächste bewegt und alles, was er sieht und hört, über sich hinwegspülen lässt. Und doch tanzte ich ziemlich viel: mit Susan, mitder Tochter des Arztes. Mit zahllosen jungen Damen, denen mich Lady Stansbury vorstellte. Ich tanzte auch mit Margot, war mir Annes Gegenwart aber nur allzu bewusst und fühlte mich unbehaglich. Ich glaube, ich war keine angenehme Gesellschaft für Margot. Ich tanzte sogar mit Violet Eccleston, die man selten auf der Tanzfläche sah und die sich mit wachsamer Anmut bewegte, als misstraute sie der Musik.
Während der Champagner floss, wurde es allmählich lauter, das Gedränge in den Räumen beinahe ungemütlich. Ich bemerkte, wie Reggie, der seine Pflichten beim Empfang erfüllt hatte, in einer Ecke ungehemmt trank, meist zusammen mit einem getreuen Stammgast von Hannesford – dem Pfarrer, dem Arzt oder sogar Colonel Rolleston. Zuerst gesellte ich mich dazu, blieb aber nicht lange. Reggie trank
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