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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ergreifen, doch eine so vertrauliche Geste verbot sich. Also versuchte ich Worte zu finden, die tröstlich und dennoch halbwegs ehrlich waren.
    »Ich bin mir sicher, mit der Zeit wird es leichter. Für Reggie und für uns alle.«
    Stimmte das? Würde es wirklich leichter für Reggie? Oder nur für die Menschen in seiner Umgebung, die sich allmählich an das Grauen gewöhnten?
    Lady Stansbury sah mich dankbar an. »Hoffen wir es. Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht mit ihm reden könnten. Ich weiß, Sie sind gerade erst angekommen, aber wenn Sie ihn mal besuchen würden … Es ist nicht so weit nach Cullingford, Wilkes könnte Sie morgen hinfahren.«
    Mir blieb natürlich keine Wahl. Ich vertraute nicht auf meine Fähigkeiten als Vermittler und hatte Reggie Stansbury zudem nie sonderlich nahegestanden. Mehr noch, wenn ich mich recht entsann, waren wir uns meist aus dem Weg gegangen. Wir hatten wenig gemeinsam, also war uns das nicht schwergefallen. Reggies Leidenschaft war das Schießen. Ich hingegen rührte selten eine Waffe an.
    »Reggie hat an Neujahr nie viel Spaß gehabt«, fuhr Lady Stansbury fort. »Das weiß ich selbst. Ich glaube, er hat all unsere großen Festlichkeiten gefürchtet. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, hier in Hannesford zu feiern, während er allein in diesem Sanatorium sitzt. Außerdem werden sich alle fragen, weshalb er nicht hier ist. Sie werden glauben, dass wir uns für ihn schämen. Und dann wäre da noch der Gedenkgottesdienst. Will er den wirklich versäumen? Der Gedanke ist unerträglich …«
    Sie holte tief Luft und sprach dann mit sanfter Stimme weiter.
    »Mein lieber Tom, ich habe mich oft gefragt, was Sie wohl von uns allen denken. Sie kennen uns jetzt schon so lange. Es muss Ihnen aufgefallen sein … Es muss offensichtlich gewesen sein, dass ich Reggie manchmal als schwierig empfunden habe. Das bestreite ich nicht. Manchmal ist es mir sehr schwergefallen, Reggie zu lieben. Er war so anders als Harry und Margot, so schwer zu verstehen. Aber ich habe mich immer bemüht, das schwöre ich Ihnen. Und nun diese grauenhafte Geschichte. Wenn wir irgendetwas für Reggie tun können … egal was …«
    Sie hielt inne, und ich drehte mich unwillkürlich zu den anderenGästen, die sich fröhlich und munter zu einem exzellenten Abendessen einfanden.
    »Ich werde gleich morgen nach Cullingford fahren«, versprach ich ihr.

I ch wusste nicht so recht, was mich erwartete, als ich nach Hannesford kam. Ich stand noch in der Großen Halle und schaute verwundert auf das Übermaß an Rosen, hörte nur halb auf die Entschuldigung, die mir der Butler überbrachte, als eine Bewegung über mir meine Aufmerksamkeit erregte. Und dann stand Margot auf der Treppe, in einem zarten Sommerkleid, so hell und frisch und ruhig, dass sich die Rosen grell neben ihr ausnahmen. Noch während sie herunterkam, um mich zu begrüßen, entschuldigte sie sich für die Abwesenheit ihrer Mutter und dass es keinen richtigen Empfang gebe, weil das Gewitter die Hausgäste dazu gezwungen habe, bei Nachbarn Zuflucht zu suchen, statt eilig heimzukehren. Ihre Gesichtszüge strahlten vor Lebendigkeit, und in ihrer Stimme schwang ein Lachen mit. Ich hatte von Society-Schönheiten gelesen und ihre Bilder in den Illustrierten gesehen. Allerdings hatte ich mir immer vorgestellt, sie wären so steif und unwirklich, wie sie auf ihren Porträts wirkten, die Schönheit so sorgfältig gemeißelt wie die Gesichter griechischer Statuen. Keine echten Menschen. Doch Margot war echt. Sie war warm und lebendig und drückte ihre Wange an meine.
    »Harry muss irgendwo hier stecken. Ich bin mir sicher, er kommt gleich. Wir freuen uns so, Sie bei uns zu begrüßen, Anne. Mama braucht dringend jemanden, der ihr hilft. Ich bin in dieser Hinsicht leider ziemlich nutzlos …«
    Ein junger Mann tauchte aus einer Tür weiter hinten in der Halle auf. Er war blond wie seine Schwester und etwas älter, er hatte die gleichen blauen Augen. Auch er war makellos gekleidet, sein Händedruck warm und fest.
    Lady Stansburys Briefe hatten mich in keiner Weise auf ihre Kinder vorbereitet.

3
    D as Abendessen verlief höflich und angenehm, wenn auch ein wenig unbefriedigend.
    Dabei war jedenfalls der äußere Rahmen vollkommen: das große Speisezimmer war unverändert in sinnlichem Rot und Grün gehalten, geradezu überwältigend in seiner üppigen Pracht. Auch die Rituale des Diners, die kleinen Eigenheiten von Hannesford, waren dieselben geblieben.

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