Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Man hatte mir erzählt, es herrsche ein schrecklicher Mangel an Dienstboten und dass es die Familien, die ihre männlichen Bediensteten mit solcher Begeisterung in die Arme der Musterungsoffiziere getrieben hatten, nicht schafften, sie wieder zurückzulocken. Falls es in Hannesford eine solche Krise gab, war es Lady Stansbury zumindest an diesem Abend gelungen, sie zu verbergen. Die Gänge wurden mit geübter Leichtigkeit auf- und abgetragen, Gläser umgehend und dezent nachgefüllt, und die Maschinerie von Hannesford funktionierte reibungslos wie eh und je. Und doch war es trotz aller Vertrautheit ganz und gar anders als früher.
    Die Abendessen in Hannesford waren immer denkwürdig gewesen. Harry und Margot waren die Magneten, und es verging kein Abend, an dem nicht neue, faszinierende Menschen dort auftauchten. Noch nie hatte ich so viele gut aussehende junge Menschen an einem Tisch gesehen. Und obgleich ich mich anfangs ein wenig als Außenseiter fühlte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich etwas ganz Besonderesmiterlebte. Viel von diesem Glanz war vergänglich, und was mir geistreich erschien, war oft nicht mehr als das geschickte Abpassen eines günstigen Moments. Ein Teil der Schönheit, die mich so beeindruckte, war mit viel Zeit oder Geld erkauft worden. Doch das Gelächter war spontan und der Übermut in den strahlenden Augen echt, und manchmal knisterte die Atmosphäre förmlich vor Erregung.
    Doch das war vor fünf Jahren gewesen. Nun unterhielt sich der junge Bill Stansbury dort, wo früher Harry gesessen hatte, etwas unbeholfen mit der Tochter des Arztes, während Laura Finch-Taylor an seiner anderen Seite ihr verstohlenes Lächeln zeigte und dem Bankier Mapperley lauschte, der gerade erklärte, dass Finanziers wie er zwar reich entlohnt würden, aber auch hohe Verantwortung trügen . Margot saß zwischen ihrer Mutter und Neil Maclean und schien bescheiden und sittsam zu plaudern. Und während ich ihr früher gern Vorhaltungen über ihr schändliches Benehmen bei Tisch gemacht hatte, lauschte ich nun den Ansichten über Mode, die das junge Mädchen zu meiner Rechten höflich äußerte.
    Lucy Flinders war gerade erst siebzehn. Es war seltsam, ausgerechnet in diesem Raum neben jemandem zu sitzen, für den Harry Stansbury kaum mehr als ein Name war. Und doch kam sie mir irgendwie bekannt vor. Ich hatte in meiner ersten Zeit in Hannesford zwei ihrer Cousinen kennengelernt und eigentlich damit gerechnet, diese bei meiner Rückkehr anzutreffen. Doch wie sich herausstellte, hatte die eine einen verwundeten kanadischen Offizier geheiratet und die andere, deren Verlobter bei Ypern gefallen war, ihre Schwester nach Vancouver begleitet. Ich erinnerte mich an zwei freundliche, ein wenig alberne junge Frauen. Es war kaum zu glauben, dass auch ihr Leben nicht von echten Tragödien verschont geblieben war.
    Und nun saß ihre jüngere Cousine beim Essen neben mir und wirkte seltsam unberührt von all dem Leid. Hinter ihremLächeln verbarg sich kein Geheimnis, ihre Trivialitäten wirkten ungezwungen, ihr Gelächter war einfach nur Gelächter. Lucy Flinders war zwölf gewesen, als in Belgien die ersten Schüsse fielen. Männer wie Harry bedeuteten ihr nichts, und sie hatte keine Brüder. Es war, als hätte das Gemetzel sie nie wirklich berührt.
    Violet Eccleston, die links von mir saß, hielt Neil Maclean einen endlos scheinenden Vortrag über Gewerkschaften. Als sie schließlich doch damit fertig war, drehte sie sich ziemlich abrupt zu mir um und funkelte mich prüfend an.
    »Captain Allen, Ihnen muss das alles hier doch ganz falsch vorkommen«, verkündete sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Sie hatte eine ziemlich tiefe Stimme und die Angewohnheit, beim Sprechen das Kinn nach vorn zu recken, als wäre jeder Satz eine Herausforderung. Sie unterstrich ihre Äußerung mit einer ruckartigen Handbewegung, die den ganzen Raum einschloss. »Nach allem, was Sie in den letzten fünf Jahren durchlebt haben, müssen Sie doch jetzt, wo Sie in eine Welt zurückkehren, die auf den alten, abgenutzten Formen besteht, am Fortschritt verzweifeln.«
    Mir kam der Gedanke, dass Violet Eccleston die Vorteile der alten, abgenutzten Formen ebenso schätzte wie alle anderen, doch das sagte ich nicht. »Gewiss ist es sonderbar, dass sich manche Dinge so gar nicht verändert haben«, erwiderte ich vorsichtig.
    »Das kann ich mir gut vorstellen. Ich meine, Sie haben selbst erlebt, wie der Krieg ein ganzes

Weitere Kostenlose Bücher