Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
begegneten sich, und wir lächelten, diesmal ungezwungener.
»Sie sind ein guter Mensch, Tom Allen. Und jetzt gehen Sie. Wir können morgen weiterreden.«
Ich stellte fest, dass mich die Stille im schlafenden Dorf und dem Wald dahinter nicht störte. Ich hörte meine knirschenden Schritte und meinen Atem; ich spürte, wie das Blut warm durch meinen Körper strömte. Eine schöne Nacht. Die Angst konnte warten, bis ich eingeschlafen war.
Freddie Masters war noch auf, als ich zurückkam. Er saß allein mit der Brandykaraffe da. Ich leistete ihm gern Gesellschaft, da ich zu wach und energiegeladen war, um den Abend zu beenden. Doch Freddie war stiller als sonst und ich zur Abwechslung derjenige, der die Unterhaltung bestritt. Als ich schließlich Gute Nacht sagte und mich zurückzog, schaute er mir verwundert nach.
Selbst danach konnte ich nicht schlafen; mein Gehirn war zu aktiv, und ich verspürte Lust, mir die Fotos noch einmal anzusehen. Allerdings hatte ich sie am Morgen in die Dunkelkammer zurückgebracht, und es war ein langer Weg dorthin. Also lag ich da und schaute an die Decke und dachte daran, wie kalt das Pfarrhaus, wie klein das Kaminfeuer gewesen war …
Schließlich nahm ich ein Buch vom Nachttisch und versuchtezu lesen. Es war der Keats-Band, den ich aus Mrs Woodwards Haus mitgenommen hatte, und als ich darin blätterte, kehrten meine Gedanken zu Julia zurück. Die Leute im Dorf klatschten, dass sie sich das Leben genommen hätte. Stimmte das wirklich? Und nur, weil ihr Cousin gefallen war? Oder war ihr in Hannesford etwas zugestoßen, während wir alle weggeschaut hatten? Falls Reggie sie in die Verzweiflung getrieben hatte, musste er sich, verletzt oder nicht, dafür verantworten.
Das Buch in meiner Hand war wunderschön, großzügig gesetzt, doch am denkwürdigsten waren nicht die Gedichte. Ich hatte zu blättern begonnen, ohne mich wirklich auf die Verse zu konzentrieren, als ich plötzlich auf eine gepresste Blume stieß: schlichter Rotklee, die Farbe kaum verblichen. Die Säfte der Blüte hatten das Papier leicht verfärbt, und es machte mich traurig, als ich mir vorstellte, wie Julia Woodward sie als Erinnerung an einen glücklichen Tag auf der Wiese hineingelegt hatte. Ihr Glück war zu vergänglich gewesen. Letztlich hatte Hannesford sie betrogen. Vielleicht uns alle.
Erst als ich das Buch beiseitelegen wollte, bemerkte ich die Handschrift auf der Titelseite. Eine ordentliche Schrift, die mir irgendwie bekannt vorkam. Eine Handschrift, die sich von ihrer besten Seite zeigte.
Meiner süßen Erscheinung aus den Wäldern in der Hoffnung, dass du für mich eines Tages auch nur ein Zehntel der Leidenschaft empfinden mögest, die du Mr Keats entgegenbringst. Mit der ganzen unbändigen, reuelosen Liebe deines nur dir gehörenden
RJKS
Reginald John Kendall Stansbury. Reggie. Ich las die Widmung noch einmal, sagte sie mir sogar laut vor, um sie in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen. Obwohl ich den Beweis vor Augen hatte, konnte ich kaum glauben, dass Reggie, der mürrische, schweigsame Reggie, so etwas geschrieben hatte.
Andererseits, warum nicht? Nur weil aufrichtige Gefühle aus den Worten sprachen? Reggie verliebt. Ein seltsamer Gedanke.
Als ich das Buch schließlich weglegte, war ich mir noch immer nicht sicher, was mir die Inschrift sagen wollte. Aber ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich Reginald Stansbury nicht annähernd so gut kannte, wie ich geglaubt hatte.
In jener Nacht wollte der Schlaf einfach nicht kommen. Kurz vor der Dämmerung gab ich meiner Ruhelosigkeit nach und stand auf, um die Fotos zu holen, aber ich verfluchte gleichzeitig die Kälte und meine eigene Dummheit. Als ich die Dunkelkammer betrat, stellte ich die alte Schachtel auf den Arbeitstisch und wühlte ungeduldig darin herum. Ich wollte mir ein ganz bestimmtes Bild noch einmal ansehen. Hatte ich es mir nur eingebildet? Nein, da lag es, zwischen zwei Porträts von Margot. Ein Foto von Anne Gregory, die gerade Blumen arrangierte.
Ich betrachtete es aufmerksam unter der Lampe. Am Vorabend hatte ich es mir kaum angeschaut. Die Komposition war recht gelungen und die Beleuchtung zufriedenstellend, wenn auch nicht herausragend. Diesmal schaute ich es mir genauer an und verglich Vergangenheit und Gegenwart. Zum vielleicht ersten Mal studierte ich wirklich Annes Gesicht.
Und zu meiner Überraschung deckten sich Vergangenheit und Gegenwart. Diese Augen … Wieso hatte ich sie nie richtig wahrgenommen? So viel Gefühl
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