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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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… Sie hatte das Talent besessen, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber diese Augen! Warum waren sie mir nicht schon früher aufgefallen? ImPfarrhaus war es mir vorgekommen, als sähe ich sie zum ersten Mal. Doch hier waren sie, auf meinem eigenen Foto: klar, eindrucksvoll, direkt. Alles andere – die Blumen, die Hände, ihr Gesicht – verblasste davor. Sie waren das lebendige, lebhafte Zentrum der ganzen Szene. Neben ihnen wirkten die Porträts von Margot oberflächlich und ohne Gefühl.
    Als ich die Fotos wieder einräumte, zitterte ich leicht. Sie alle zeugten davon, wie wenig ich damals gesehen hatte.
    Als ich mit der Schachtel unter dem Arm nach unten ging, hörte ich ein Scharnier quietschen. Am Ende des Korridors öffnete sich eine Tür. Ich hielt instinktiv inne, als eine Frauengestalt in einer Art schwarzem Frisiermantel auftauchte. Sie trug eine Kerze, hatte das Gesicht aber abgewandt, als sie leise die Tür hinter sich schloss. Dann blickte sie auf, und ich erkannte Laura Finch-Taylor. Das Zimmer, aus dem sie kam, gehörte zweifellos Bill Stansbury.
    Ich hatte keine Ahnung, welche Reaktion ich von ihr erwartete, doch sie zögerte nur kurz, bevor sie mir ruhig entgegenkam. Als wir aneinander vorbeigingen, schaute sie mich an und zog eine Augenbraue hoch.
    »Genau wie in alten Zeiten, Captain Allen«, murmelte sie.
    Sie sagte es ohne eine Spur von Verlegenheit.
    In der Nacht vor dem Rosenball hatte ich ebenfalls wachgelegen. Ich hatte an Margot gedacht und versucht, mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, mit ihr ein ruhiges Glück zu erleben, eine mühelose Zufriedenheit, eine Seelenverwandtschaft. Solche Gedanken waren absurd. Doch die Vorstellung, dass Julian Trevelyan sie in die Arme nahm, machte mich unglücklich und raubte mir den Schlaf. Ich versuchte die Augen zu schließen, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen.
    Es muss gegen vier Uhr morgens gewesen sein, als draußen im Flur eine Tür ging. Dann hörte ich Schritte. Natürlich wares in solchen Häusern nicht ungewöhnlich, dass vor der Morgendämmerung gewisse Korrekturen an den Schlafarrangements vorgenommen wurden, und ich hatte gelernt, meine Neugier zu zügeln. Doch die Art, in der die Tür zugeworfen wurde, beunruhigte mich ein wenig. Es war so offensichtlich, so wenig diskret, und die verklingenden Schritte wirkten sogar ein bisschen wild. Nach kurzem Zögern glitt ich aus dem Bett und spähte in den Flur.
    Ich kam natürlich zu spät. Wessen Schritte ich auch gehört haben mochte, derjenige war bereits verschwunden. Nebenan befand sich Harrys Zimmer, und ich fragte mich, ob es seine Tür gewesen war. Ich wartete ein oder zwei Sekunden und wollte mich gerade zurückziehen, als ich den Drang verspürte, in die andere Richtung zu blicken. Dort, am Ende des Flurs, halb im Schatten, schaute Harry lächelnd zu mir herüber.
    »Guten Morgen, Tom«, flüsterte er völlig entspannt. Er trug noch seine Abendgarderobe, hatte die Krawatte aber lose um den Hals hängen. »So früh schon auf?«
    Bevor ich antworten konnte, fiel eine andere Tür, ganz in seiner Nähe, leise zu.
    Ich wartete bis zum nächsten Tag, um nachzusehen, ahnte aber schon, dass Harry aus Laura Finch-Taylors Zimmer gekommen war.

N ach Toms spätem Besuch im Pfarrhaus schlief ich schlecht. Obwohl ich müde war, fand mein Geist keine Ruhe, und ich schreckte immer wieder hoch. Dennoch fühlte ich mich am Morgen erholt, und als ich die Läden öffnete, hatte der Schnee den dunklen Hang des Moors verwandelt und weicher gemacht. Das Wetter passte zu meiner Stimmung: frisch, sauber, verheißungsvoll. Heute Morgen musste ich einen Besuch für Mrs Uttley erledigen, und obwohl sich die Kälte in mein Zimmer gestohlen hatte, so dass mein Atem Wolken bildete, während ich mich anzog, freute ich mich auf die Bewegung. Ich wollte mich warm einpacken und zügig gehen. Unterwegs würde ich fast an Hannesford Court vorbeikommen.
    Der knirschende Schnee unter meinen Füßen und die eisige Luft auf meinen Wangen halfen mir, mich auf praktische Dinge zu konzentrieren. Ich wollte eigentlich nicht an den vergangenen Abend denken. Im klaren Winterlicht erschien er mir schon unwirklich, als hätte der Feuerschein eine Welt des Vertrauens und der Nähe erschaffen, die nur existierte, solange die Flammen flackerten. Bei Tageslicht war es schwer zu glauben, und ich errötete beim bloßen Gedanken daran. Ich hatte mich an Toms Schulter gelehnt. Ich hatte einen

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