Wiedersehen in Kairo
Frühstück. Wer soll das bloß alles aufessen?«
»Nun sag nicht, diese kleine Aufmerksamkeit sei der Rede wert«, sagte Dieter und machte eine Handbewegung, als scheuche er Fliegen fort. »Hoffentlich schmeckt es dir.«
Es schmeckte Angelo, und sie dehnten das Frühstück lange aus. Dieter erzählte Schwänke aus seinem Büroalltag, Angelo lachte herzlich darüber. Angelo ging in die Küche und machte neuen Toast, er brühte neuen Kaffee auf, er schenkte Dieter ein. »Noch etwas Sahne?«
»Ja bitte.« Dieters Stimme zitterte. Geh noch nicht, dachte er. Geh bitte noch nicht. Nur ein Stündchen noch. O Gott, wie die Zeit rast. Da legte sich eine warme Hand auf seinen Arm. »Darf ich heute hierbleiben?«
»Du willst …«
»Ich würde gern mit dir Heiligabend verbringen, Dieter.«
Jesus, Maria und Josef!,
dachte Dieter. »Ich habe aber keinen Baum«, stotterte er.
Es war eine seiner dümmsten Antworten, aber es wurde einer der schönsten Abende seines Lebens. Die goldenen Engel auf den Weihnachtsservietten lächelten, die Kerzen auf dem Adventskranz strahlten wie eine Monstranz. Dieter hatte eine CD mit Weihnachtsliedern eingeschoben. Sie saßen auf dem Sofa, Arm in Arm, und es war ein tiefer Frieden in Dieter.
»Jetzt ist eigentlich Bescherung«, flüsterte Dieter, »und ich habe nichts für dich.«
»Du hast mich aufgenommen, ist das nichts? Ich bin ein Fremder, könnte drogenabhängig sein oder ein Stricher.«
»Das bist du nicht. Du bist …« Dieter suchte nach Worten.
»Ich bin Angelo«, lächelte er. »Und ich will dir etwas zu Weihnachten schenken.« Er langte in seine Jeanstasche und holte eine Münze hervor.
Dieter betrachtete sie andächtig. »Sie ist schön, aber woher ist sie? Ich kenne sie nicht.«
Angelo lächelte spitzbübisch. »Ich habe sie auf dem Flohmarkt erstanden. Ich glaube, sie ist wertvoll.«
Dieters Hand schloss sich darum. »Das Wertvollste«, murmelte er.
Um Mitternacht hörten sie die Glocken läuten. Die Kerzen waren niedergebrannt, und sie gingen zu Bett. »Gute Nacht«, sagte Dieter. »Gute Nacht«, sagte Angelo. Er legte sich auf das Sofa, und Dieter ging ins Schlafzimmer. Aber er konnte nicht einschlafen. Da hörte er die Tür gehen, Angelo stand auf der Schwelle, und er hatte rein gar nichts an. »Dieter?«, flüsterte er. »Glaubst du, es schickt sich in dieser Heiligen Nacht?«
Dieter konnte darauf rein gar nichts antworten.
In der Nacht hatte es geschneit. Nicht viel, aber es reichte, die graue Welt ein bisschen freundlicher zu machen. Angelo stand schon in der Küche und summte ›Stille Nacht, Heilige Nacht‹. Er schnitt den Christstollen auf. Dieter rieb sich die Augen. Angelo war also immer noch da.
Nach dem Frühstück machten sie einen Spaziergang im Stadtpark, am Nachmittag zeigte Dieter Angelo seine Bücher und seine CDs, abends sahen sie gemeinsam fern. Sie redeten und lachten miteinander, sie küssten sich, und sie liebten sich. Und nie fragte Dieter: Wann musst du gehen?
Am Morgen des dritten Tages erwachte Dieter in einem leeren Bett. Angelo war fort. Ohne Abschied, ohne Kuss, ohne eine Botschaft. Dieter blieb wie niedergeschmettert liegen. Was hast du denn erwartet? Schalt er sich. Dass dieser Junge bei dir bleibt, dass du mit ihm Pläne schmieden kannst? Er hat vorübergehend eine Bleibe gesucht, und nun ist es vorbei. Vorbei, Dieter.
Die Zeit zwischen den Jahren ist geheimnisvoll, die wilde Schar treibt ihr Unwesen, man darf keine Wäsche waschen. Für Dieter war es einfach eine beschissene Zeit. Während das Lametta in aller Eile gegen Knallfrösche und Luftschlangen ausgetauscht wurde, saß er im Knossos auf seinem Stammplatz hinter den ausgelesenen Zeitschriften und starrte in seinen Milchkaffee.
Willi, der Hausmeister, stand am Tresen und unterhielt sich mit Jan, dem Wirt. Sie sahen hinüber zu Dieter. »Was hat er denn?«, fragte Willi. »Der Junge sieht gar nicht gut aus.«
Jan machte eine deutliche Handbewegung. »Dieter, der spinnt in letzter Zeit. Die Einsamkeit macht ihn fertig.«
»Aber mir hat er erzählt, er habe einen neuen Freund. Mit dem hat er auch Weihnachten verbracht.«
»Einen, den er Angelo nennt?«
»Genau.«
»Nun ja …« Jan kratzte sich den kahl geschorenen Schädel. Dann beugte er sich zu dem Hausmeister und flüsterte: »Das ist es eben. Am Tag vor Heiligabend saß Dieter bis nach Mitternacht ganz allein da drüben und führte Selbstgespräche. Er bestellte immer zwei Glühweine auf einmal, und als er ging,
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