Wiedersehen in Stormy Meadows
Sehr stolz sogar.«
»Ach ja?« In seiner Stimme schwingt der übliche Übermut mit, doch als ich zu ihm aufsehe, ist sein Blick forschend. Mehr als das. Er sieht in mich hinein. Mit einer erstaunlichen Intensität. Sehnsüchtig, voller Verlangen.
Mir wird ganz heiß und schwindelig.
»Möchtest du etwas trinken?« Meine Stimme bebt.
Er schüttelt den Kopf. Als ich ihn das nächste Mal ansehe, ist da wieder nur noch der ganz normale, freundschaftliche Humor in seinem Blick.
»Sehr gerne, Nat, aber ich bin nur ganz kurz hergekommen, um allen Frohe Weihnachten zu wünschen. Ich muss los.«
»Zu einer Party?«, frage ich und spüre die Enttäuschung in mir aufsteigen.
»Nein, ich bin auf dem Weg nach London. Ich habe meinem Bruder und seiner Familie versprochen, den Weihnachtsmorgen mit ihnen zu verbringen.«
»Hattest du nicht gesagt, dass sie bei Newcastle leben?«
»Ja, aber dieses Jahr sind sie zu Weihnachten bei den Eltern meiner Schwägerin.«
»Du klingst nicht sonderlich begeistert.«
»Ach, weißt du …«, seufzt er, »das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich möchte ich sie alle gerne sehen, und ich freu mich riesig darauf, meinen Nichten und Neffen beim Auspacken der Geschenke zuzusehen. Aber es ist seltsam, Gast im Haus von Leuten zu sein, die man nicht besonders gut kennt.«
Ich nicke.
»Und obwohl Mac ausdrücklich mit eingeladen ist, bin ich mir nicht sicher, wie sie das finden werden mit so einem großen Hund im Haus. Ich bin ja schon ein paarmal da gewesen, und in dem Haus liegt einfach entschieden zu viel heller Teppichboden.«
»Du könntest ihn doch bei uns lassen.«
»Das ist lieb von dir, aber im Notfall kann ich ihn ja auch sehr gut als Vorwand benutzen, um zu flüchten.«
»Oha. So schlimm?«
»Nein. Aber dieses Jahr würde ich Weihnachten einfach viel lieber hier verbringen.«
Ich bilde es mir nicht bloß ein. Er sieht mich forschend an, sucht nach einer Reaktion in meinem Gesicht. Ich bleibe stumm. Bekomme keinen Ton raus. Wie bescheuert von mir.
Er merkt mir meine Verlegenheit an. Ich weiß nicht, wie er sie auslegt, aber jedenfalls wendet er sich ab, verabschiedet sich von allen und will gehen. Ganz gleich, wie verwirrt und sprachlos ich bin, ich kann ihn jetzt nicht gehen lassen, ohne ihm und mir einzugestehen, was ich empfinde – auch wenn ich es selbst noch nicht recht verstehe.
»Connor.«
Er dreht sich wieder zu mir um.
»Fahr vorsichtig.«
Zu meiner Überraschung kommt er noch einmal auf mich zu und streicht mir ganz kurz und leicht über die Wange. »Ich fahre immer vorsichtig. Versprochen.«
Die schwere Eingangstür fällt hinter ihm ins Schloss. Mir ist heiß. Verwirrt sehe ich mich um. Cas spielt mit Luke Billard, Laura sieht ihnen zu. Gott sei Dank hat keine von beiden diesen äußerst intimen Moment mit Connor beobachtet, der mich einerseits verunsichert und andererseits getröstet hat.
Dafür hat uns aber jemand anders beobachtet.
»Na, musste Connor schon weg?«, erkundigt sich Orlaithe in einem Ton, der keinen Zweifel daran offenlässt, dass sie Zeugin unseres Abschieds war.
Ich atme tief durch, reiße mich zusammen und drehe mich zu ihr um. »Ja«, antworte ich aufgeräumt. »Nach London. Weihnachten mit der Familie seines Bruders feiern.«
»Wie schön für ihn.« Sie zwinkert mir zu, als teilten wir ein Geheimnis, was mich nun auch wieder irgendwie verwirrt.
»Was macht ihr morgen?«, frage ich, um das Thema zu wechseln.
»Morgen essen wir bei Hanks Mutter zu Mittag, und abends sind wir ja bei euch.«
»Hanks Mutter lebt noch?« Ich staune.
»Wird Ende Januar neunzig und könnte den guten alten Hank immer noch unter den Tisch saufen. Wird ein großes Fest werden, und Cas und du, ihr werdet bestimmt auch eingeladen.«
»Bis dahin sind wir zurück in London.«
»Ach, wie schade. Aber ihr werdet doch sicher bald mal wiederkommen und uns besuchen?«
»Klar«, sage ich. »Machen wir.«
Schlagartig wird mir bewusst, dass ich Ende Januar wieder in London an meinem Schreibtisch in der Naked -Redaktion sitzen werde und Cas zurück im Internat sein wird. Mir schnürt sich die Kehle zu, und mein Magen zieht sich zusammen.
Dann sind wir ja so weit weg von … allen.
Kurz vor Mitternacht schließt Orlaithe die Pubtür hinter dem letzten Gast ab. Der harte Kern von Auserwählten sitzt aber noch am Tresen – Laura, Cas und ich, Daveth, der kaum die Augen offen halten kann, Denzel und seine dritte Frau Agnes, die ursprünglich aus Islington
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