Wiedersehen in Stormy Meadows
kleine Tuff weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Sein erster Schnee. Von einem Tag auf den anderen sieht die Welt so anders aus. Und so sitzt er mitten auf der Schwelle der Hintertür, aufgeregt und verängstigt zugleich. Dann stürzt Meg zur Tür hinaus, die Schnauze wie einen Schneepflug durch die fünf Zentimeter dicke Schneeschicht schiebend und fröhlich mit dem Schwanz wedelnd. Ihr Todesmut ermuntert auch Tuff, der zunächst eine Pfote in den Schnee steckt und sofort wieder zurückzieht, als habe er sich verbrannt. Dann versucht er es noch einmal, und in null Komma nichts tollt er quer über den Hof im Schnee herum.
Laura hat das Stallradio eingeschaltet, und so versüßen uns Bing Crosby mit »White Christmas«, Dean Martin mit »Let It Snow« sowie Doris Day und sogar Cliff Richard die Arbeit.
Meine Mutter gibt mir den Auftrag, mich um die »Mädels auf der Weide« zu kümmern, und auf dem Weg über den Hof staune ich, wie schnell sich der blütenweiße Schnee in grauen Matsch verwandelt, nur weil wir ein paarmal in unseren Gummistiefeln und mit Heuballen und Futtereimern beladen darin herumlaufen. Noch mehr aber staune ich über Lauras Willensstärke, das hier durchzuziehen, bevor wir uns auf die Geschenke unter dem Baum stürzen. Als ich klein war, fiel sie am Weihnachtstag immer als Erste aus dem Bett und drängelte meinen Vater und mich schon um fünf Uhr morgens, doch nun endlich aufzustehen. Sie konnte es einfach nicht abwarten. Ist sie endlich zur Ruhe gekommen, oder verliert Weihnachten mit dem Alter seinen Glanz? Oder hat sie eine enorme Selbstdisziplin entwickelt?
Ich wusste heute Morgen nicht, was ich anziehen sollte. Abgesehen von letztem Jahr, als Weihnachten einfach nur ein Tag war, den ich irgendwie hinter mich bringen musste, habe ich mich immer festlich angezogen. Und da ich wusste, dass ich nach der Stallarbeit keine Zeit haben werde, mich umzuziehen, bevor meine Mutter sich über die Geschenke hermacht wie ein hungriger Geier über ein überfahrenes Tier, füttere ich nun in einem cremefarbenen Kaschmirpulli und einer sehr teuren grauen Wollhose die Kühe. Nicht gerade das vernünftigste Outfit. Ich weiß eigentlich auch nicht, wieso ausgerechnet mir diese Aufgabe zuteilwurde, während sich meine Mutter und Cas deutlich weniger klamottenriskant um Chance und die Hühner kümmern.
Ich sehe immer noch einigermaßen passabel aus, als ich schließlich zum Haus zurückkehre. Nur die Gummistiefel befinden sich in einem Zustand, der es gebietet, sie draußen vor der Tür stehen zu lassen. Ich glaube, heute ist der erste Morgen, seit wir hier sind, an dem Laura nicht darauf bestanden hat, ein komplettes englisches Frühstück zuzubereiten. Sie und Cas sind aber natürlich lange vor mir ins Haus zurückgekehrt und sitzen bereits vor dem im dunklen Wohnzimmer funkelnden Christbaum auf dem Fußboden und warten ungeduldig auf mich. So ungeduldig, dass sie sich zwar gerade noch beherrschen konnten, schon die ersten Geschenke aufzumachen, aber immerhin schon damit angefangen haben, sie in verschiedene Stapel zu sortieren.
Der größte Stapel ist für Tuff. Diese Tatsache spiegelt sein stetig wachsendes Ansehen im Haus wider und vor allem Cassies Zuneigung zu ihm. Von Laura bekommt er ein dringend benötigtes neues Halsband, da das alte ihm inzwischen fast die Kehle zuschnürt, so schnell ist er gewachsen. Ich schenke ihm einen Fressnapf, damit er weiter ordentlich isst und wächst. Von Cas bekommt er ein Luxushundekissen, das komfortabler aussieht als die alten Matratzen, auf die wir unsere müden Knochen betten, und so viel quietschendes Gummispielzeug, dass wir sicher bis Ostern davon genervt sein werden. Außerdem einen Plaidhundemantel, den er nicht tragen, sondern fressen möchte, und eine neue Leine, da er auch die alte Welpenleine immer wieder fressen wollte und entsprechend zerfleddert hat. Zu guter Letzt kriegt er auch noch einen mit Hundekuchen, Hundekeksen und Kauspielzeugen gefüllten Strumpf, angeblich von Meg. Erstaunlicherweise hat Tuff Meg genau das gleiche Geschenk besorgt, und erstaunlicherweise sieht Megs Handschrift der von Laura zum Verwechseln ähnlich.
»Du spinnst«, schelte ich Laura, doch die lächelt nur selig und ermuntert Cas, nun ihre Geschenke auszupacken.
Laura hat ihren eigenen Geschenkstapel noch nicht angerührt, was mich überrascht. Doch dann beobachte ich sie. Sehe, wie sie Cas beobachtet. Und verstehe, was sich verändert hat. Lauras größte Freude besteht
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