Wiedersehen in Stormy Meadows
Lichter …« Ich zeige auf die Lichterkette, die Orlaithe über der Bar aufgehängt hat. »Und von mir aus können die Städter ihre Kultur für sich behalten, das hier macht viel mehr Spaß.«
»Das heißt, du gewöhnst dich langsam an uns?«
Fragend hebe ich die Augenbrauen.
»An die Menschen hier in Cornwall, an unsere Lebensweise«, erklärt er. »Irgendwann erwischt es uns alle. Völlig unbemerkt wickelt es uns mit seinem leisen Charme um den Finger, und irgendwann kann man sich dann plötzlich gar nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu leben.«
»Schon möglich«, entgegne ich nachdenklich. »Wieso wolltest du eigentlich damals aus London weg?«
»Ich?«, fragt er, als würde ihn die Frage überraschen. »Weil mich die Stadt völlig aufgefressen hätte, wenn ich noch länger geblieben wäre.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich bin nicht so sehr von London an sich weggezogen, sondern mehr von dem, was London für mich als Künstler bedeutete. Als ich in London arbeitete, wurde die Kunstwelt zunehmend von Sensationslust und der Gier nach Prominenz beherrscht, und ich musste dringend weg, bevor ich davon infiziert wurde. Ich wollte einfach nur malen, aber Malerei wurde auf einmal nicht mehr als Kunst betrachtet. Ist dir klar, dass die meisten Kunstschulen des Landes in ihrer Überzeugung, Zeichnen und Malen seien tot, diese Fächer gar nicht mehr routinemäßig anbieten? Was für ein Skandal! Ich meine, man muss sich doch nur mal in der Geschichte der Malerei umsehen, was da für Schätze und Schönheiten zu finden sind. Die Renaissance, Leonardo, Michelangelo, Raffael, Tizian, Bellini, Bramante, Lombardo, Torrigiano …«
Die Namen purzeln nur so aus seinem Mund. » Das war noch Kunst. Also, wenn du mich fragst. Meine ganz persönliche Meinung. Ich bin nicht so arrogant, zu fordern, dass alle anderen meine Meinung teilen müssen. Schließlich liegt die Kunst – genau wie die Schönheit – im Auge des Betrachters. Jedenfalls hatte die Londoner Kunstszene sich in ein Biotop verwandelt, in dem ich nicht mehr recht gedieh. Ich empfand es als Haifischbecken.«
»Das klingt alles ganz schön zynisch.«
»Und das ist genau der springende Punkt. Ich wäre zum Zyniker geworden, wenn ich in London geblieben wäre. Ich wollte die Freude am Leben nicht verlieren. Denn was ist das Leben schon wert ohne Freude? Sieh dir nur mal die kleine Cas und ihre Leidenschaft fürs Reiten an. Sie ist mit Leib und Seele dabei.«
»Ja, und sie ist gar nicht schlecht, was? Und mit dem Zeichnen und Malen läuft es auch ziemlich gut.«
»In der Tat.«
»Ballett macht sie dagegen fast gar nicht mehr.«
»Vielleicht ist ihr daran die Lust vergangen.«
»Vielleicht«, sage ich und denke an den Tag zurück, an dem ich sie im Stall tanzen sah. »Dabei ist sie wirklich verdammt gut. Umwerfend gut.«
»Sie hat eine große Willensstärke und ist eine sehr entschlossene junge Dame. Cas würde alles, was sie mit Leidenschaft anfängt, richtig gut machen, und sie würde niemals zugeben, dass ihr irgendetwas schlicht keinen Spaß mehr macht. Das gilt insbesondere fürs Tanzen, schon wegen ihrer Mutter.«
»Hat sie mit dir darüber gesprochen?«
»Nicht ausführlich, aber sie hat es erwähnt, ja.«
»Was hat sie gesagt?«
»Gar nicht viel, es war mehr der Eindruck, den ich von ihr gewann. Ich glaube, sie tanzt nicht aus eigener Überzeugung und Hingabe, sondern weil sie sich dazu verpflichtet fühlt, und das ist eine Schande. Aber sie wird ihren Weg schon gehen, sie wird herausfinden, was für sie das Richtige ist. Im Moment ist sie bloß ein bisschen orientierungslos. Aber gut, Sechzehnjährige wissen selten, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollen, der ja vor ihnen liegt wie eine endlos lange Straße. Und nach allem, was Cas durchgemacht hat, ist sie doppelt entschuldigt.«
»Sie hat es nicht leicht gehabt seit Robs Tod.«
»Kann ich mir vorstellen«, entgegnet er voller Empathie.
»Du hast mal erwähnt, dass du auch jemanden verloren hast?«
»Meinen zweiten Bruder, Colm. Er war bei uns zu Hause das Mamakind, ich hing immer mehr an unserem Vater. Er war ziemlich lange krank, und es war absehbar, dass er sterben würde. Trotzdem hat es mich vollkommen umgehauen.«
»Vermisst du ihn?«
»Klar, aber er würde nicht wollen, dass ich den Rest meines Lebens als Trauerkloß friste. Er würde wollen, dass ich in die Welt hinausgehe und sie erobere. Damit er stolz auf mich sein kann.«
»Das wäre er bestimmt …
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