Wiedersehen in Stormy Meadows
Wut oder Enttäuschung in ihrem Blick. »Ich hätte das nie für möglich gehalten, aber …« Ich verstumme. Spricht da Verunsicherung und Ängstlichkeit aus ihren blauen Augen?
Befürchtet sie etwa, für sie sei kein Platz in meinem Herzen, weil Connor es erobert hat?
Denn das hat er, wie könnte ich das leugnen. Er hat mir neue Hoffnung gegeben, den Glauben daran, dass eine glückliche Zukunft möglich ist – aber mir wird klar, dass ich mich erst um den Herzschmerz eines anderen Menschen kümmern muss, bevor ich mich meinem eigenen Glück zuwenden kann. Ich habe Cas schon zu oft im Stich gelassen – ich werde es nicht noch einmal tun.
»Vielleicht könnten Connor und ich …« Ich verstumme auf der Suche nach den richtigen Worten. Worten, die sie verstehen kann. »Vielleicht könnten wir eines Tages eine Beziehung haben. Dinge miteinander unternehmen. Vielleicht auch mehr … Aber ich glaube, jetzt ist der falsche Zeitpunkt dafür. Es gibt noch so viele andere Dinge in meinem Leben, die ich regeln muss.« Ich schweige. Ich fürchte, mich nicht besonders gut ausgedrückt zu haben.
Cas denkt nach und schweigt.
»Cas?«
Zögerlich wendet sie sich mir wieder zu. Da ist kein Lächeln mehr auf ihrem Gesicht. Im Gegenteil: Cas kämpft mit den Tränen.
»Was ist denn los, Cas?« Ich versuche, mich aufrecht hinzusetzen, allerdings etwas zu schnell. Meine geprellte Rippe sendet einen stechenden Schmerz aus.
Cas hört, wie ich scharf einatme, sieht, wie sich mein Gesicht verzerrt. »Alles in Ordnung, Nattie?«
»Jaja.«
»Sicher?« Dann schluchzt sie einmal laut auf und heult los wie ein Schlosshund.
»Oh, Nat … ich dachte, jetzt würde ich dich auch noch verlieren …« Sie ergreift meine Hand, verschränkt ihre Finger mit meinen und drückt so fest zu wie in dem Moment, als ich sie vor dem Absturz zu bewahren versuchte.
»Alles wird gut, Cassie, du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Ich gehe nicht weg. Du wirst mich nicht verlieren. Nie. Wahrscheinlich wirst du dir irgendwann nichts sehnlicher wünschen, als mich endlich loszuwerden, aber bis auf Weiteres musst du’s mit mir aushalten – okay?«
Sie drückt meine Hand noch fester.
»Ich bin für dich da. Solange du mich brauchst. Versprochen.«
Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlage, durchflutet die Sonne das Zimmer mit Licht. Mein Blick fällt auf die Wand gegenüber des Betts, und zunächst glaube ich, zu halluzinieren. Es dauert eine Weile, bis ich kapiere, dass es wahr ist. Dass es wirklich da hängt.
Das Bild vom Wasserfall.
Laura sitzt im Sessel neben meinem Bett und schläft. Seit ich aus dem Krankenhaus zurück bin, hat sie den Sessel immer nur für wenige Minuten verlassen, um mir etwas zu essen oder zu trinken zu holen. Sie bewegt sich, als ich mich aufsetze, um das Bild näher zu betrachten.
»Das Bild. Du hast es zurückgeholt.«
Laura reibt sich die Augen und lächelt. »Ja. Hab damals Glück gehabt und es an Charles verkaufen können. Ich glaube, er hat es nur gekauft, um mir aus der Patsche zu helfen, nicht, weil es ihm besonders gut gefiel. Sind ja gar keine Hunde oder Fasane drauf«, erläutert sie ihre Aussage, als sie meinen ungläubigen Blick sieht. »Von daher war es nicht besonders schwierig, ihn zu überreden, es mir wiederzugeben. Aber es hängt da nur vorübergehend.«
»Sag bloß, er hat es dir geliehen, um meine Genesung zu beschleunigen? Und wenn ich wieder fit bin, musst du es ihm zurückgeben?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, mein Schatz, ich habe es ihm abgekauft. Aber es ist ein Geschenk, und zwar für dich, damit du es jeden Morgen, wenn du aufwachst, sehen kannst – ganz gleich, wo.«
»Dann bleibt es hier.«
Erstaunt sieht sie mich an. »Aber du fährst doch in ein paar Tagen zurück nach London.«
Ich lasse mir mit meiner Antwort Zeit.
»Ich habe nie kapiert, was du an der Gegend hier fandest … warum du unbedingt hierbleiben wolltest«, erkläre ich schließlich. »Aber jetzt verstehe ich es. Als Rob starb, haben Cas und ich nicht nur einen geliebten Menschen verloren, sondern auch unser Zuhause. Und damit meine ich nicht Ziegelsteine und Zement. Connor hat mal zu mir gesagt, Heimat ist nicht da, wo man geboren wurde, sondern da, wo man sich zu Hause fühlt. Mit Rob haben wir unser Zuhause verloren, unsere innere Heimat, und jetzt habt ihr alle – du, Hank, Orlaithe, Luke und Connor – uns ein neues Zuhause gegeben. London ist nicht unser Zuhause. Stormy Meadows ist unser Zuhause
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