Wiedersehen in Stormy Meadows
tonlos, dann küsst sie mich auf die Wange und nimmt mich vorsichtig in den Arm. »Frohes neues Jahr, Nattie.«
»Wie bitte?«
»Heute ist der erste Januar, meine Liebe.«
»Dann habe ich also alles verpasst?«
»Was alles? Silvester im Wartesaal eines Krankenhauses, umgeben von Besoffenen? Da hast du nun wirklich nicht viel verpasst. So, und bevor ich dich jetzt ins Bett schicke: Kann ich dir noch irgendwas Gutes tun?«
»Ja. Ich hätte gerne eine Flasche Sekt.«
»Sekt?«
»Hab ich doch gerade gesagt, oder? Haben wir keinen mehr?«
»Doch, da müsste noch eine von Petras Flaschen im Kühlschrank liegen, aber Nat …«
»Dann möchte ich, dass wir die jetzt köpfen, Mum. Bitte. Ich möchte auf das neue Jahr anstoßen.«
»Aber darfst du denn Alkohol trinken? Ich meine, wegen der Medikamente?«
»Wahrscheinlich nicht, aber ich möchte lieber jeden Tag ein Glas Sekt trinken als eine Diazepam schlucken. Und außerdem …«
»… hat Dad auch immer am ersten Januar auf das neue Jahr angestoßen«, beendet Cas meinen Satz und ergreift meine Hand.
»Ganz genau. Und ich finde, wir sollten das neue Jahr so anfangen, wie er es von uns erwarten würde.«
Luke fährt nach Hause, und ich lege mich ins Bett, um mich etwas auszuruhen. Daraus wird aber nicht wirklich etwas. Laura trägt den kleinen Fernseher hoch in mein Zimmer und zündet zum ersten Mal, seit ich hier bin, den Kamin an. Die Hunde machen es sich auf dem Boden vor dem Feuer gemütlich, Laura in einem Sessel neben meinem Bett und Cas auf dem Fußende meines Bettes. Ihr Mundwerk steht nicht still.
»Also, eigentlich war es ja meine Idee, dich da rauszuholen, aber ohne Luke hätte ich das nicht geschafft, weil ich ja noch nicht Auto fahren kann. Ich hoffe, das war in Ordnung, dass wir dein Auto genommen haben, ohne vorher zu fragen – aber es war doch so eine Art Notfall, oder? Was meinst du, kann ich nicht mal langsam anfangen, Auto fahren zu üben? Ich weiß, es ist noch fast ein Jahr hin, bis ich siebzehn werde, aber Luke hat mir angeboten, ein bisschen mit dem Land Rover auf Feldwegen herumzufahren, wenn Laura nichts dagegen hat. Solange man nicht auf öffentlichen Straßen fährt, ist das wohl auch völlig legal.«
Selig lächelnd höre ich ihr zu und beobachte sie. Sie ist wie ausgewechselt. Eine völlig neue Cassie.
»Er ist zwar nicht gerade eine Intelligenzbestie«, plappert sie weiter, »aber er ist wahnsinnig lieb, und er hat Humor. Findest du ihn nicht auch einfach toll?«
»Ja, klar. Total toll«, entgegne ich mit einem Pokerface.
»Und mehr brauche ich im Moment ja auch gar nicht. Ich bin noch viel zu jung, um mir ernsthafte Gedanken über eine langfristige Beziehung zu machen, aber ein bisschen Spaß darf ich wohl schon haben, oder?«
Sie klingt so alt und weise, dass ich schmunzeln muss. Dann hält sie plötzlich inne und wirft einen Blick zu Laura. Da diese in ihrem Sessel eingeschlafen ist, raunt Cas mir hinter vorgehaltener Hand zu: »Hör mal, Nat, wegen dir und Connor …«
»Ach, Cas, es tut mir so leid. Ich habe versucht, es dir zu erklären. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest. Aber ich habe dich nicht angelogen, als ich gesagt habe, dass wir nicht zusammen sind – das waren wir zu dem Zeitpunkt wirklich nicht. Erst an dem Nachmittag, als ich bei ihm war … Ich weiß, ich hätte mit dir darüber reden müssen, aber ich habe einfach nicht den Mumm gehabt.«
Sie unterbricht meinen Redefluss mit einer Frage, die mich erstarren lässt.
»Darf ich dich mal was über Daddy fragen?«
Ich nicke.
»Du hast ihn wirklich geliebt, stimmt’s?«
Wieder nicke ich und beiße mir dabei so fest auf die Unterlippe, dass es wehtut. »Ich liebe ihn immer noch.«
Sie denkt einen Moment nach. »Das freut mich. Es tut mir leid, dass ich das einfach nicht wahrhaben wollte, als er noch lebte. Jetzt habe ich es begriffen, versprochen, nur leider ist es jetzt zu spät.«
»Zu spät?«, frage ich erleichtert. »Es ist nie zu spät. Meine Liebe zu Rob ist nicht mit ihm gestorben. Sie ist immer noch lebendig, tief in mir drin, und genauso intensiv wie an unserem Hochzeitstag. Und es tut so gut zu wissen, dass du es mir endlich glaubst.«
Sie denkt wieder nach. Dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck.
»Meinst du, dass du und Connor … vielleicht … eines Tages … Also, dass du noch mal jemanden so lieben könntest wie Dad?«
»Vielleicht. Eines Tages«, antworte ich mit Bedacht und achte sehr auf jegliches Anzeichen von
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