Wiedersehen in Stormy Meadows
sie wirft nie etwas weg. Alles wird liebevoll gepflegt. Diese Sammlung hat sie sich im Laufe von drei Jahrzehnten zugelegt.
Am meisten fällt in ihrem Ankleidezimmer ein dreistöckiges Gestell auf, das eine ganze Wand einnimmt. Es ist mit unzähligen Paar Schuhen gefüllt.
»Da würde Imelda Marcos ja vor Neid erblassen«, war Cassies Kommentar, als sie dieses Modeparadies zum ersten Mal betrat.
Jetzt fällt Laura auf ihr Bett und jammert nach einer Tasse Kaffee. Aber als ich den Kaffee gekocht habe und damit in ihr Zimmer zurückkehre, schläft sie schon fest und schnarcht leise.
Auch Cas ist ins Bett gegangen. Mir fällt auf, dass sie Laura vorher noch die Schuhe ausgezogen und sie sorgsam mit einer Decke zugedeckt hat.
Am nächsten Morgen gießt es in Strömen. Nach einem schweigsamen Frühstück wendet Laura sich an Cassie.
»Ich fahre ins Dorf – wir brauchen ein paar Dinge aus dem Laden. Kommst du mit?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, nimmt meine Mutter Cassies Jacke von dem Ständer an der Tür. Dann bringt sie Cassie auch noch ihre Schuhe.
Zu meiner Überraschung fügt das Mädchen sich ohne Kommentar, zieht Schuhe und Jacke an und folgt Laura auf den Hofplatz hinaus.
Ich horche auf ihre Stimmen, aber die beiden sind verdächtig still, während sie in den Land Rover steigen, den Hank schon früh zurückgebracht hatte. Nur das Knirschen von Metall ist zu hören, als sie die verrosteten Türen öffnen und wieder schließen. Während der Motor stotternd anspringt, lasse ich mich seufzend auf den Stuhl fallen, den Cas gerade frei gemacht hat.
Nachdem ich eine Weile auf das nasse Kopfsteinpflaster hinausgestarrt habe, überkommt mich das Bedürfnis, ebenfalls das Haus zu verlassen. Ich schnappe mir meinen Mantel, meine Tasche und die Autoschlüssel und gehe nach draußen in den strömenden Regen. Ohne zu wissen, wo ich eigentlich hinwill, verlasse ich den Hof und fahre den langen Weg zur Landstraße hinauf. Ich biege rechts ab und folge der Straße, achte nicht auf ihren Verlauf, sondern fahre einfach automatisch weiter, ganz in Gedanken versunken.
Ich lasse Trenrethen und Sennen hinter mir und folge den Wegweisern nach Land’s End. Immer noch habe ich kein Ziel. Weil mir nichts Besseres einfällt, biege ich schließlich in den Parkplatz des Freizeitparks ein. Ich stelle den Motor aus, bleibe aber im Wagen sitzen. Plötzlich erfüllt mich eine so tiefe Stille, dass ich fast mein Herz schlagen höre.
Erst nach einer ganzen Weile steige ich aus, ziehe meinen Mantel an und bezahle die Parkgebühr. Der große Parkplatz ist praktisch leer. Während ich über die Kiesfläche zum Eingang des Vergnügungsparks gehe, sehe ich nur etwa zwanzig Wagen, obwohl mindestens fünfmal so viele hier Platz hätten.
Dies ist nicht mehr das Land’s End, das ich in Erinnerung habe. Die Landspitze wurde vor einigen Jahren von Amerikanern gekauft und in eine Touristenattraktion verwandelt, mit Karussells und Glücksspielen und Geschäften, die T-Shirts, Marmelade und Fudge mit dem Aufdruck »Land’s End« verkaufen.
Heute haben die spärlichen Besucher in den Geschäften Schutz vor dem Regen gesucht. Einige wenige wetterfeste Gestalten mühen sich mit den Reißverschlüssen ihrer Regenmäntel ab und halten ihre Hüte fest, damit sie nicht wie Drachen im Wind davonfliegen.
Ich gehe zwischen den Gebäuden hindurch in Richtung Landspitze. An dem berühmten Wegweiser, der anzeigt, dass es nach New York 3147 Meilen, nach John O’Groats 874 Meilen und nach London 323 Meilen sind, stehen durchgeweichte japanische Touristen und fotografieren sich gegenseitig. Im Restaurant sitzen Gäste, Familien mit kleinen Kindern und Paare. Sie essen, trinken und lachen, ein Paar streitet sich. Ich kann die beiden natürlich nicht hören, aber ich sehe ihre angespannten Gesichter, die Lippen, die laut flüstern, bis die Frau böse in die eine Richtung schaut und der Mann in die andere. Wütend trommelt er mit den Fingerspitzen auf dem Tisch herum, um sich zu beruhigen, während seine Partnerin so tut, als würde sie ihren Lippenstift nachziehen, ihren Spiegel aber benutzt, um zu sehen, ob er wieder zu ihr herüberschaut.
Am liebsten würde ich ins Restaurant stürzen und die beiden schütteln. Sie auffordern, den Partner nicht einfach als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Ihnen klarmachen, dass die Zeit manchmal viel kostbarer ist als jedes Prinzip. Doch ich halte mich zurück. Ohne die Schilder zu beachten, die vor der Felskante
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