Wiedersehen in Stormy Meadows
schreie ich. Ich schreie in den Wind, bis meine Lungen leer sind. Doch der Schrei wird mir vom Mund gerissen, er wird vom Heulen des Windes und vom Tosen des Meeres verschluckt, und niemand außer mir selbst hört meinen Schmerz. Trotzdem erscheint mir dieser Schrei lauter als tausend Dezibel. Und dann lasse ich mich zurücksinken, in die Mulde hinein, bis ich im Rücken den harten Granit spüre. Ein Überhang schützt mich vor dem Regen, und ich ziehe die Knie an die Brust und lege den Kopf in die Arme.
Rob hat das Meer geliebt. Sooft wir konnten, sind wir übers Wochenende an die Küste gefahren, haben stundenlang beisammen am Strand gesessen, Schultern und Beine aneinandergedrückt. Manchmal habe ich den Kopf auf seine Schulter gelegt, manchmal hat er den Kopf in meinen Schoß gebettet, und wir horchten und schauten. Hypnotisiert. Fasziniert. Still.
Das Meer hat etwas Magisches. Etwas, das den Blick und die Gedanken anzieht. Etwas Geheimnisvolles. Ich habe es nicht geschafft, Rob mit hierherzubringen. In gewisser Weise bin ich froh, dass wir nie zusammen hier waren. Das macht es jetzt leichter für mich, weil ich nicht überall Erinnerungen sehe.
In meiner Mulde schützt mich das Gestein ringsum vor Regen und Wind. Es ist so ruhig hier, so still. Ich kann Rob so deutlich sehen und spüren, fast als wäre er bei mir. Wenn ich die Augen schließen würde, könnte ich seine beruhigende Hand auf meiner kalten Wange fühlen, davon bin ich überzeugt. Doch die Logik sagt mir, dass ein derartiger Versuch mich nur enttäuschen würde, daher halte ich die Augen offen und konzentriere mich auf die Schönheit des tobenden Meeres vor mir.
Einsamkeit tut nur dann gut, wenn man von Schönheit umgeben ist und keine traurigen Gedanken im Kopf hat.
Ich rapple mich hoch und mache mich auf den Rückweg.
Als ich endlich wieder bei meinem Auto angelangt bin, ist die Dunkelheit hereingebrochen, und erschrocken stelle ich fest, dass es schon nach fünf ist. Ich bin sechs Stunden unterwegs gewesen. Für eine Einkaufsfahrt hätte ich nie so lange gebraucht, aber ich versuche, meine Spuren zu verwischen, indem ich in Land’s End Schokolade kaufe. Nach kurzem Überlegen besorge ich auch noch ein paar Flaschen Wein und Fish and Chips für uns drei.
In der Küche ist es himmlisch warm, und der Schein des Kaminfeuers flackert über die altgoldenen Wände. Cassie sitzt am Tisch. Sie hat die Beine unter sich gezogen und mehrere Bogen Papier im Halbkreis vor sich ausgelegt. Als ich hereinkomme, blickt sie auf, sieht dann jedoch, dass ich es bin, und wendet den Blick wieder ab, ohne mich zu begrüßen.
Meine Mutter steht an der Spüle und schält Kartoffeln. Sie dreht sich um, lächelt mir zu und deutet auf die Teekanne auf dem Tisch. Da ist frischer Tee, wenn du welchen möchtest, sagt ihre Geste. Sie fragt nicht, wo ich war, sondern wirft mir nur einen Blick zu, erleichtert, dass ich heil zurückgekommen bin.
»Ich habe uns was zum Essen gekauft«, verkünde ich und schwenke die braunen Papiertüten.
»Ach, du bist ein Engel.« Laura legt die Kartoffel aus der Hand und sticht fast symbolisch das Messer hinein. »Heute Abend habe ich wirklich keine Lust zu kochen. Du siehst ja, meine Vorbereitungen für das Abendessen bestehen bisher nur darin, dass ich zwei Kartoffeln geschält habe.«
Sie spült sich die Stärke von den Händen und holt die Zutaten für unser Festessen aus dem Schrank. Salz und Essig, Soßen, ein frisch gebackenes Brot, Butter und selbst eingelegte Zwiebeln in einem Einmachglas.
Ich fühle mich an meine Kinderzeit erinnert. Freitagsabends brachte Dad immer Fish and Chips mit nach Hause. Es ist eine glückliche Kindheitserinnerung, aber ich hatte es einfach vergessen. Dabei sollte man eigentlich meinen, ich hätte die schönen Erinnerungen alle im Kopf, wo ich doch überzeugt bin, dass die glücklichen Momente in meiner Kindheit so rar waren.
Cas ist schweigsam. Sie isst mit Appetit, so wie ich sie eine ganze Weile nicht mehr habe essen sehen. Ich öffne eine Weinflasche. Sie sagt leise »Danke«, als ich ihr ein halbes Glas reiche, und schaut mich ganz kurz an.
Als wir mit dem Essen fertig sind, räumt Laura den Tisch ab, und Cas hilft ihr dabei, ganz ohne Aufforderung. Während Laura mit dem Abwaschen beginnt, setzt das Mädchen sich wieder an den Tisch, mit einer neuen Zeitschrift, die sie im Dorf besorgt haben muss, als sie mit meiner Mutter zum Einkaufen war.
Das Radio läuft.
Laura hat mein Angebot, ihr zu
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