Wiedersehen in Stormy Meadows
weit an der Küste entlangzieht, so zauberhaft, dass selbst die tosenden Atlantikwellen zahm werden und ihn sanft streicheln.
Hier gibt es keine vertikal aufragenden Klippen, sondern das Land senkt sich in einem steilen Abhang zum Meer hin ab – braune Erde, auf der sich in großen Büscheln das grünweiße Strandgras festklammert. Ich atme tief ein und fülle meine Lungen mit der kalten frischen Salzluft. Vielleicht war Lauras Idee doch nicht ganz so verrückt, wie es zuerst den Anschein hatte. Ja, es ist kalt, aber hier scheint die Kälte nicht so beißend zu sein. Die Sonne schaut hinter einer weißen Wolke hervor, und es ist einfach atemberaubend schön. Hier möchte man nur sitzen und die Natur ringsumher anschauen, sie in sich aufsaugen, als könnte sie die Härte des Lebens mildern.
Cas kommt und stellt sich neben mich. In der einen Hand hat sie den Picknickkorb, und unter ihrem anderen Arm klemmt ein rotkariertes Bündel: der in eine Wolldecke gehüllte Welpe.
»Ist das herrlich hier«, murmelt sie.
Einen Moment lang denke ich, sie spräche mit mir, aber als ich mich zur Seite drehe, um sie anzusehen, starrt sie gedankenverloren auf den dunkelblauen Ozean hinaus. Offenbar hat sie einfach laut ausgesprochen, was mir selbst gerade durch den Kopf geht.
Jetzt ist auch Laura fertig. Sie schließt die Heckklappe und kommt zu uns herüber. In der linken Hand trägt sie eine Tasche voller Bierflaschen, und auf der flachen Rechten transportiert sie in einem heiklen Balanceakt eine große weiße Schachtel. Da sie nicht über den ganzen Parkplatz laufen will, um auf den Fußweg zu gelangen, stellt sie ihre Fracht auf die Feldsteinmauer und schwingt sich dann darüber, landet einen guten Meter tiefer auf dem Weg und nimmt die Sachen wieder an sich.
»Na, kommt.« Sie grinst zu uns hinauf, aber Cas und ich zögern noch. »Worauf wartet ihr denn?«
Cas lächelt Laura zu und springt dann in der Haltung einer Ballerina leichtfüßig über die Mauer. Wie immer bin ich über die athletische Kraft dieses gertenschlanken Mädchens überrascht, denn bei ihrem Sprung nimmt sie den Korb und den Welpen in der Decke einfach mit. Jasper folgt ihr. In Sekundenschnelle hat er erneut die zweihundert Meter zum Meer zurückgelegt und jagt wieder Schaumkronen. Die Einzige, die auf mich wartet, ist Meg. Mit ihren ernsten schwarzen Augen sieht sie vom Weg zu mir hoch und drängt mich, ihr zu folgen. Ich lasse die Kühlbox über die Mauer hinunter und klettere dann hinterher.
Orlaithe strahlt mich an, als ich auf sie zukomme. Sie hockt breit auf ihrer pinkfarbenen Decke, in einen Mantel aus Kunstpelz gehüllt, den sie so stramm um sich gezogen und so gut unter ihren Beinen und ihrem Po festgestopft hat, dass sie sich kaum rühren kann. Auf dem Kopf trägt sie eine Mütze aus dem gleichen Pelz, die aber nicht verhindern kann, dass ihre roten Locken wie eine Fahne im Wind flattern. Die Irin sieht aus wie ein großer, flauschiger Bär mit rosa Wangen und rotgemalten Lippen.
»Nattie! Wie geht’s dir denn? Verrückt, sich bei dieser Kälte hier draußen zu treffen, ja, aber es wird bestimmt schön! Lauras Picknicks sind legendär, auch wenn wir heute nur ganz wenige sind. Weißt du, ich bin sicher, dass deine Mutter die Rave-Partys erfunden hat. Letztes Mal waren wir mindestens hundert, und es gab Musik und zu trinken, bis die Sonne schlafen ging, und immer weiter, bis sie dann am nächsten Morgen wieder auftauchte.«
»Orlaithe übertreibt, wie üblich.« Laura grinst, als sie die Karodecke neben der pinkfarbenen ausbreitet. »Hundert waren es bestimmt nicht.«
»Na gut – dann waren wir eben fünfzig«, meint Orlaithe. »Aber wir haben bestimmt für hundert getrunken.« Sie klopft neben sich auf die Decke. »Komm her, Nattie, setz dich zu mir. In meinen Windschatten – im Gegensatz zu mir hast du ja kein Gramm Fett, das die Kälte abhalten würde. Schau dich doch mal an, ich würde meine Arme gar nicht in deinen Pullover hineinkriegen, und in deinen Jeans wäre nicht mal für ein Drittel von meinem Allerwertesten Platz.«
Sie mustert mein Hinterteil, als ich mich bücke, um die Kühlbox und meine Tragetasche abzustellen. »Nein, höchstens für ein Drittel von einem Drittel.«
Ich setze mich neben sie und krame in der Plastiktüte herum. »Kaum zu glauben, wie warm das hier ist. Als wären wir in einem anderen Land.«
»Durch die Felsen auf beiden Seiten ist es geschützt.« Orlaithe deutet nach Westen und nach Osten.
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