Wiedersehen in Stormy Meadows
mir klar, dass wir sie gar nicht brauchen, um unsere Neugier zu stillen.
Cassie und ich kämpfen uns gerade zur Bar hindurch, da zupft meine Stieftochter mich am Ärmel.
»Natalie«, wispert sie. »Guck mal, da drüben.« Sie deutet auf einen Tisch ganz hinten in der Ecke, ein wenig abgesondert von den übrigen. Laura sitzt mit dem Rücken zu uns, aber ihre caramellfarbenen Locken sind unverkennbar. Und neben ihr sitzt, wie Cassie vermutet hatte, ein Mann.
»Ich hab’s doch gewusst«, sagt Cas triumphierend. »Ich hab’s einfach gewusst.« Sie will sich zu den beiden durchdrängen, aber ich halte sie zurück.
»Dass wir sie gefunden haben, ist eine Sache, Cas, aber ehrlich gesagt, ich glaube, die beiden wollen nicht gestört werden.«
»Quatsch! Du bist Lauras einzige lebende Verwandte – na gut, abgesehen von deiner Großtante Daphne in Worthing …«
»Die lebt noch?«
Cas nickt. »Hat Laura jedenfalls erzählt.«
»Du weißt ja mehr über meine Familie als ich.«
»Wenn du dich mal hinsetzen und mit deiner Mutter reden würdest«, Cas schneidet mir eine Grimasse, »du weißt schon – wenn du dir Mühe geben würdest …«
So wie mit mir.
»Aber über ihren Freund warst du trotzdem nicht informiert«, erwidere ich.
»Also lass uns das jetzt gleich nachholen. Komm, wir stellen uns vor.« Schelmisch lächelt Cas mir zu. Sie macht sich los, drängelt sich zu dem Tisch durch und lässt sich dem glücklichen Paar gegenüber auf einen Stuhl fallen. Überrascht und ein wenig schuldbewusst sieht Laura auf.
Mir ist die ganze Geschichte maßlos peinlich. Laura ist normalerweise recht offen, und wenn sie gewollt hätte, dass wir von diesem Mann erfahren, hätte sie uns mit Sicherheit von ihm erzählt. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken, aber Cas winkt mir, dass ich ihr folgen soll. Ich schaue mich nach einem Fluchtweg um, doch da sie mich sowieso längst gesehen haben, folge ich Cas schließlich zu dem Tisch in der Ecke.
Das Mädchen grinst mich an, während Laura offenbar nicht besonders begeistert ist, mich zu sehen.
»Nattie, ich habe es Cas gerade schon gesagt, das ist Charles Treloar, ein Geschäftsfreund von mir. Charles, das ist meine Tochter Natalie.«
Ich strecke die Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Charles wirkt keineswegs so verlegen wie meine Mutter. Er steht auf und schüttelt mir die Hand.
»Wie schön, Sie beide kennenzulernen«, sagt er und lädt Cas und mich höflich ein, uns zu ihnen zu setzen – allerdings ein wenig verspätet, denn wir haben uns ja schon aufgedrängt. »Ich glaube, wir brauchen noch mehr Wein, jetzt sind wir ja zu viert.« Er lächelt freundlich, entschuldigt sich und verschwindet an die Theke.
»Was macht ihr denn hier?«, zischt Laura uns an, sobald er weg ist. »Spioniert ihr mir nach?«
»Überhaupt nicht!«, beteure ich, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht.
»Wir hatten bloß Durst.« Cassie fällt das Lügen viel leichter als mir.
Aber Laura weiß natürlich, dass Cas und ich niemals einfach so auf die Idee kommen würden, zusammen wegzugehen, daher erröte ich. Ich nehme mir einen Bierdeckel und fächle mir damit wie wild Luft zu, so als sei die Hitze im Raum für meine Gesichtsfarbe verantwortlich. Laura schüttelt den Kopf, aber ich sehe mit Erleichterung, dass sie sich das Lachen verbeißt.
»Also«, Cas grinst sie auffordernd an, »wer ist das?«
»Wie gesagt, ein Geschäftsfreund.«
»Ja, und Natalie ist die Jungfrau Maria.« Cas verdreht die Augen.
»Wiedergeboren«, brummle ich.
»Aber sieht er nicht umwerfend aus?« Laura kann der Versuchung, ein wenig anzugeben, nicht widerstehen. »Ein bisschen wie Albert Finney, findet ihr nicht? Natürlich viel jünger und schlanker, und seine Haare sind auch dunkler.«
»Mmm.« Cas schaut zur Bar hinüber, wo Charles darauf wartet, dass er bedient wird. »Na ja, für so einen alten Knacker ist er nicht übel, allerdings mit den Cordhosen und den Flicken auf den Ellbogen – ich weiß nicht so recht.«
Darüber muss Laura lächeln, auch wenn sie ganz offensichtlich mit ihrem angeblichen Geschäftsfreund lieber einen gemütlichen Abend zu zweit verbringen würde.
»So, jetzt habt ihr mich also aufgestöbert – wärt ihr nun bitte auch so lieb, wieder abzuzwitschern?«, meint sie lächelnd.
»Wirklich charmant.« Cas lächelt zurück.
Ich würde das Paar ja gern allein lassen, aber meine wohlerzogene Stieftochter weist darauf hin, dass Charles gerade freundlicherweise Wein
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