Wiedersehen in Stormy Meadows
dem in den Illustrierten immer gewarnt wird – wenn die Kinder anfangen, die Verantwortung zu übernehmen, und die Eltern zu Kindern werden. Als Nächstes versuchst du dann, mich in ein Heim zu stecken.«
»Ich würde kein Heim finden, das dich nimmt. Denen wäre das Risiko zu groß, denn du würdest mitten in der Nacht alte Männer in dein Zimmer einschleusen.«
»Alte Männer!« Meine Mutter lacht entrüstet. »Ich glaube, das dürfte Charles nicht hören. Aber weißt du was? Für einen alten Kerl ist er richtig gut im Bett.«
»Ich glaube, das will ich gar nicht wissen.«
»Warum so schamhaft? Du hast mir doch schon erzählt, dass du uns gehört hast.«
»Ich dachte, du hättest ein paar Tiere mit ins Schlafzimmer genommen, um dich warm zu halten. Schließlich war es letzte Nacht ziemlich kühl.«
»Aber in meinem Schlafzimmer nicht.« Laura zieht eine Schnute. »In meinem Zimmer war es ganz schön heiß.«
Ich schaudere. »Hör auf, du versuchst doch bloß, mich aufzuziehen.«
»Ja«, gibt meine Mutter vergnügt zu, »und das klappt ganz super.«
Ein alles andere als melodisches Hupen verkündet, dass Hank gerade auf den Hof fährt. Da er nur in Ausnahmefällen hupt, wenn er ankommt, laufen wir nach draußen, um zu sehen, was los ist.
»Die Triffids kommen zurück«, sagt eine Stimme hinter mir trocken. Cas steht in ihrem grauen Wollschlafanzug in der Tür und schaut zu, wie Betsy neben dem Haus zum Stehen kommst. Hanks Wagen sieht aus wie eine fahrende Hecke, bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, dass ein riesiger Weihnachtsbaum darauf festgebunden ist. Er reicht vom Kofferraum bis zu den Hörnern vorn auf der langen Haube und bedeckt die Windschutzscheibe fast ganz. Hank kann nur noch durch ein handtellergroßes Loch sehen, wo er hinfährt.
Laura hat sich auf die Schnelle einen Mantel übergezogen und tänzelt jetzt aufgeregt um das Fahrzeug herum, während Hank den Baum losbindet und vom Wagendach herunterwuchtet. Schnaufend lässt er ihn auf die Erde fallen und sieht Laura fragend an.
»Wo er hin soll?« Laura besitzt die frappierende Gabe, Hanks Gesichtsausdruck deuten zu können.
»Mhm«, bestätigt er.
»Es wäre schön, ihn in der Küche zu haben, denn da halten wir uns meistens auf. Was meint ihr denn?«
Ich nicke zustimmend. Cas versucht, gelangweilt und unbeteiligt auszusehen, doch als ihr das vollkommen misslingt, nickt sie ebenfalls.
Der kleine Mann trägt den riesengroßen Baum mühelos über den Hof. Erst vor dem Kücheneingang legt er ihn ab, um ihn dann vorsichtig rückwärts durch die Tür zu ziehen, da er sonst nicht hindurchpassen würde. Hank schleift den Baum über die Terrakottafliesen und lehnt ihn rechts neben dem Kamin in die Ecke.
Ich atme tief ein. »Ich liebe diesen Geruch, diesen Duft von frischen feuchten Fichtennadeln.«
»In den WC-Reinigern kriegen sie den Duft nie so richtig hin, was?« Laura grinst, während ich mitten in der Küche stehe und schnüffle wie Mac, wenn er eine Fährte verfolgt.
Hank bleibt auf eine Tasse Tee und ein paar Kekse, dann zieht er wieder los, um nach einer trächtigen Kuh zu sehen. Und Laura fällt endlich ein, dass sie eigentlich gar nicht angezogen ist. Sie verschwindet nach oben zum Umziehen. Nach einer halben Stunde kehrt sie mit einem Karton voll Baumschmuck zurück, den sie im letzten Jahr in der Langscheune deponiert hatte.
»Ganz egal, wie vorsichtig ich die Sachen wegpacke, irgendwas geht immer kaputt«, klagt sie, während sie den Karton auf den Fußboden stellt. Sie fördert Lametta, Kugeln und bunt bemalte Tannenzapfen zutage und faltet dann ganz vorsichtig eine Umhüllung aus Seidenpapier auseinander. Darin befindet sich eine zerrupfte alte Fee, hergestellt aus einer Klorolle und rosa Federn, die aus einer Federboa herausgezupft wurden. Ich erkenne die Figur sofort, denn ich habe sie selbst gebastelt, als ich noch ganz klein war.
»Ist ja nicht zu fassen, dass du die noch hast«, rufe ich ungläubig.
Meine Mutter blickt auf und grinst mich an. »Sie kommt jedes Jahr ganz oben auf den Weihnachtsbaum.«
»Was soll das denn sein?« Cas hebt die Fee zwischen Daumen und Zeigefinger hoch und streckt sie weit von sich, als könnte sie sich daran infizieren.
»Das sollte eine Fee sein«, murmele ich, »aber ich war erst vier, als ich sie gemacht habe.«
»Aber damals hast du gesagt, es wäre eine Ballerina, Nattie«, widerspricht Laura.
»Wirklich?«
»Ja, du hast darauf bestanden. Dein Vater und ich hatten
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