Wiedersehen in Stormy Meadows
dich in eine Matinee vom Nussknacker mitgenommen, und du warst völlig hin und weg. Das hier war deine Version der Zuckerfee. Also ist sie eine kleine Tänzerin, genau wie unsere Cas, stimmt’s?«
Als Antwort stößt Cas nur einen abfälligen Laut durch die Nase aus und gibt Laura die zerzauste Fee zurück. Besorgt betrachte ich ihr mürrisches Gesicht. Seit wir hier sind, hat sie noch kein einziges Mal vom Tanzen gesprochen. Und ich habe sie auch nie üben sehen, obwohl sie in der Schule viel Zeit dafür aufwendet, für die Wettbewerbe, Aufführungen und Prüfungen.
Vielleicht ist sie wie ich. Ich dachte, die Arbeit wäre mein Leben, aber seit ich hier bin, habe ich sie kaum vermisst, habe sie einfach vergessen, genauso schnell, wie ein Teenager einen Urlaubsflirt vergisst.
Gemeinsam schmücken wir den Baum, und Laura steckt meine rosa Fee oben auf die Spitze.
Es ist Abend. Laura ist unruhig.
»Hat jemand Lust auf einen Spaziergang?«
Keine Antwort.
»Es ist ein schöner Abend«, ermutigt sie Cas.
Cassie blickt von ihrem Buch auf und runzelt die Stirn. »Findest du?«
»Na, immerhin regnet es nicht.«
»Das ist ja mal was ganz Neues.« Cas steht vom Teppich auf. »Na gut – warum nicht?«
Laura wendet sich an mich. »Nattie?«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Zieht ihr beiden nur los.«
»Ach, komm doch mit. Du kannst auch frische Luft gebrauchen.«
Ich sehe Cas an. Es ist dumm von mir, aber ich möchte, dass meine Stieftochter mich zum Mitkommen einlädt. Ich möchte, dass beide mich dabeihaben wollen, nicht bloß Laura. Cas ist schon dabei, ihre Stiefel anzuziehen. Sie schaut auf und sieht mich fragend an. Als ich mich nicht rühre, nimmt sie meinen Mantel vom Garderobenständer und hält ihn mir wortlos hin.
Mit einem Lächeln stehe ich auf, nehme den Mantel entgegen und schnappe mir dazu eine alte Wollmütze von Laura. Sie sieht aus wie ein Teewärmer, ist aber so schön warm, dass sie mir sehr lieb geworden ist. Laura bindet schon ihre Gummistiefel oben zu, und als ich mich bücke, um mir auch die Stiefel anzuziehen, zwinkert sie mir zu.
»Fertig?« Sie richtet sich auf.
Cas versucht gerade, eine Leine an Tuffs Halsband zu befestigen. Der kleine Welpe hält das jedoch für ein Spiel, er wälzt sich auf dem Fußboden herum und versucht, den Haken zu schnappen, sobald Cassie damit in seine Nähe kommt.
»Irgendwann wirst du dich daran gewöhnen müssen«, seufzt sie. »Sonst fährt dich gleich der erste Bus platt, wenn wir nach London zurückkommen.«
Es ist das erste Mal, dass Cassie unsere Heimkehr erwähnt.
»Mit der Zeit wird er es schon lernen.« Laura bückt sich und tätschelt dem Welpen den Kopf.
»Glaubst du? Langsam mache ich mir Sorgen, dass er genauso wenig graue Zellen mitgekriegt hat wie Jasper.«
Draußen kommt Laura in die Mitte zwischen uns. Sie nimmt erst Cassies Arm, dann meinen, und so eingehakt spazieren wir erst ein Stück über die Wiese, dann durch die dichte Ligusterhecke auf die dahinter liegende Weide, die sanft vor uns abfällt, und schließlich noch etwa fünfhundert Meter bis zu einer weiteren Hecke.
Es ist fünf Uhr. Rechts von uns sinkt die Sonne durch eine schwarzviolette Wolkenbank langsam aufs Meer hinunter. Die Küste macht hier einen Bogen, im Norden weicht sie zurück, sodass ich, wenn ich nach rechts schaue, immer das Meer sehen kann. Wir überqueren eine weitere Weide. Nun sehe ich vor uns einen Strand und weiter weg eine Straße, die dorthin führt. Ich bin nicht ganz sicher, wo wir uns befinden. Trenrethen könnte hinter der Hügelkuppe ganz in der Ferne liegen, aber ich weiß es nicht genau.
»Ich erinnere mich gar nicht mehr richtig an diese Landschaft.«
Beim Klang meiner Stimme schaut Laura mich an. »Du hast ja auch nicht lange hier gelebt, oder? Wahrscheinlich hast du kaum etwas davon gesehen.« Sie wendet sich an Cas und grinst. »Du hättest Nattie mal sehen sollen als Teenager. Sie hat sich in ihr Zimmer eingeschlossen und die Stereoanlage voll aufgedreht. Typisch Pubertät.«
Cas lacht, und ich protestiere.
»So schlimm war ich doch gar nicht.«
»Oh, noch viel schlimmer. Aber ich nehme dir das nicht übel, denn ich war nicht gerade eine gute Mutter, oder?«
Überrascht schaue ich sie an.
»Was heißt das, Natalie hat nicht lange hier gelebt?«, fragt Cas nach. »Ich dachte, ihr wärt hergezogen, als sie fünfzehn war.«
»Ja.« Laura seufzt. »Und mit sechzehn ist sie nach London gegangen.«
»Du bist mit sechzehn zu Hause
Weitere Kostenlose Bücher